Freitag, 7. Dezember 2012

Der Vorleser


























Regie: Stephen Daldry

Alles andere als skandalös...

Stephen Daldrys "Der Vorleser" ist die Verfilmung des bekannten gleichnamigen Romans von Bernhard Schlink, der 1995 erschienen ist, in 39 Sprachen übersetzt und weltweit erfolgreich wurde.
Schon das Buch wurde kontrovers aufgenommen, viele waren begeistert, viele abgestossen. Kritiker sahen darin eine Absolution für eine uneinsichtige Täterin des 3. Reichs und empfanden auch die Vermischung von Sex und Holocaust als äusserst skandalös.
Sommer 1958 in einer deutschen Kleinstadt, die im Film mit "Neustadt" angegeben wird: Der 15-Jährige Michael Berg (David Kross) sitzt in der Straßenbahn, es geht ihm schlecht. Kurz nach dem Aussteigen erbricht er sich und die Schaffnerin Hanna (Kate Winslet) ist ihm behilflich. Michael ist an Scharlach erkrankt und muss monatelang das Bett hüten. Nach der Genesung besucht er die fremde Frau mit einem Blumenstrauß, um ihr für die Hilfe damals zu danken. Hanna ist mehr als doppelt so alt wie er und wirkt bei dieser zweiten Begegnung für den Jungen sowohl rätselhaft als auch anziehend. Es entwickelt sich eine ungleiche Liebesbeziehung zwischen dem "Jungchen", wie Hanna ihn nennt, und der dominanten, aber schweigsamen Frau.

Michael verliebt sich in Hanna, sie treffen sich heimlich in Hannas Wohnung. Hanna erzwingt sanft das Ritual, dass Michael ihr vor dem Sex aus Büchern vorlesen soll. Irgendwann verschwindet Hanna spurlos, ohne eine Erklärung. Erst 1966 - Michael ist inzwischen Jurastudent - sieht er die Frau wieder. Hanna ist eine der Angeklagten in einem Prozess gegen mehrere ehemalige KZ-Aufseherinnen in Mannheim.
Es soll nicht die letzte Begegnung der beiden Menschen sein...
Kontrovers, aber Filmgeschichte geschrieben: Kate Winslet, die die Rolle deshalb bekam, weil Nicole Kidman ablehnen musste, erhielt einen gerechtfertigen Oscar für ihre Rolle als Täterin, die mitverantwortlich ist für den Verbrennungstot von 300 jüdischen Frauen, sich aber noch mehr wegen ihrem Analphabetismus schämt, der zeitlebens Kränkung und Minderwertigkeitsgefühl bleibt. Im Vorfeld der Oscarverleihung meldete sich in den USA der jüdische Journalist Ron Rosenbaum zu Wort. Dieser bezeichnete den Vorleser als den schlechtesten Film über den Holocaust, der je produziert wurde. Auch er vertrat die Meinung, dass der Film versucht, den Deutschen der Nazizeit eine Absolution zu erteilen.
Das kann man natürlich so sehen, muss es aber zwangsläufig nicht.
Wenn man den Blickwinkel etwas verändert, dann entdeckt man eine sehr komplexe Geschichte um Scham, Schuld und Sühne.
Durch die zuerst ganz alltägliche Beziehung, die natürlich von Emotion geprägt ist, selbst wenn die Beziehung ungleich verläuft und Hanna bestimmt, während Michael ihr wie so üblich in diesem Alter verfallen ist, gelingt eine außergewöhnliche Art und Weise der Vergangenheitsbewältigung und ebenso eine ambivalente Sicht durch die Privatheit, die beide verbindet und eine menschliche Sicht auf die Täterin ermöglicht.
Daher empfinde ich gerade den Kritikpunkt, dass die Geschichte zu einer Identifikation mit schuldigen Tätern der NS-Zeit zwingt, den grossen Verdienst des Films.
Der Täter hat ein menschliches Gesicht und kann nicht abgetrennt vom eigenen Ich als diese unmenschliche "böse Nazi" Bestie gesehen werden, die man leicht zu verurteilen kann. Gerade in der Mögichkeit einer Indentifikation gelingt doch eher eine adäquate Aufarbeitung im Sinne vom Erkennen eigener "dunkler" Anteile, ein Punkt der in der Vergangenheitsbewältigung eher zu kurz kommt. Man beschränkt sich aufs Verurteilen und auf die Distanz....
Ich sehe den "Vorleser" als einen sehr guter Film des Jahres 2009 mit einer herausragenden Kate Winslet, einem hervorragenden Jungdarsteller David Kross.
In wichtigen Nebenrollen treten Lena Olin, Mathias Habich, Ralph Fiennes und Bruno Ganz auf.

Bewertung: 8 von 10 Punkten.

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