Mittwoch, 10. Juli 2019

Werk ohne Autor

Regie: Florian Henckel von Donnersmarck

Die Intuition des Künstlers...

"Zufällig gewählte Illustriertenbilder, Passfotos von Automaten, beliebige Schnappschüsse aus Familienalben. Alles unscharf abgemalt. Mit solchen Bildern, die aus unerklärlichen Gründen eine echte Kraft besitzen, scheint sich Kurt Barnert zum führenden Künstler seiner Generation zu entwickeln. Und das mit der tot gewähnten Malerei. Aber wie viele seiner Generation hat er nichts zu erzählen, nichts zu sagen. Er löst sich von jeder Tradition, verabschiedet sich vom biografischen Ansatz in der Kunst und schafft so zum ersten Mal in der Kunstgeschichte ein Werk ohne Autor" - so ein Reporter der ersten Ausstellung von Barnerts Bilder in Wuppertal. Die Kunstgemeinde geht davon aus, das seine künstlerisch wuchtigen Bilder so wenig mit ihm zu tun habe, dass man kaum von einer Urheberschaft im herkömmlichen Sinn sprechen könne. Diese Szene zeigt Florian Henckel von Donnersmarck am Ende seines 188 Minuten langen Films, der im Jahre 1937 bei einer Wanderausstellung in Dresden zum Thema "Entartete Kunst" beginnt und endet Anfang der 60er Jahre mit dieser Anerkennung als Künstler. Schon als kleiner Junge hat Kurt (Cai Cohrs als Kind, Tom Schilling als Erwachsener) gemalt und versucht auf die Wirkungskraft der ehrlichen Kunst zu vertrauen.
Einen großen Einfluss auf sein weiteres Leben hat seine hübsche kunstsinnige Tante Elisabeth (Saskia Rosendahl). Die junge Frau ist sehr exzentrisch, manchmal sogar durchgeknallt und durch ihr Verhalten im Dritten Reich unangemessen. Sie wird nachdem sie nackt vor ihrem Neffen Klavier spielte in eine psychiatrische Anstalt gesteckt. Dort wird die Frau in die Obhut von Obersturmbannführer Prof. Carl Seeband (Sebastian Koch), der die Dresdner Frauenklinik leitet, gegeben. Dort wird sie sterilisiert und gegen Ende des 2. Weltkriegs in Pirna im Zuge der Euthanasie vergast.
von Donnersmarcks Film ist nicht leicht zu entschlüsseln, diese Gemeinsamkeit teilt er mit den Bildern des Protagonisten. Dabei lieferte der US-Kameramann Caleb Deschanel (Willkommen Mr. Chance, Der Stoff, aus dem die Helden sind, Der Patriot, Die Passion Christi, Winters Tale) mit seiner Kameraarbeit eine Weltklasseleistung ab. Optisch erinnert von Donnersmarck Film mit seiner opulenten Machart sogar an die Melodramen von Vincente Minelli wie "Die Erbe des Blutes" oder "Die vier apokalyptischen Reiter", aber auch aufgrund der Vielschichtigkeit an Bille Augusts "Das Geisterhaus". Wie in diesen Filmen steht auch die Familie im Fokus und diese Werke versuchen ebenfalls mehrere Handlungsstränge irgendwann zu verbinden, als Einheit zu zeigen. Und alle diese Filme scheinen durch die vielen Themen, die auftauchen, als etwas überfrachtet. Man kann allerdings froh sein, dass Florian Henckel von Donnersmarck sich dafür entschieden hat wieder in Deutschland zu drehen. Immerhin hat er 2005 mit "Das Leben der Anderen" vielleicht den anerkanntesten deutschen Film des 00er Jahrzehnts geschaffen und sein Ausflug nach Hollywood mit "The Tourist" war lediglich nette Unterhaltungsware. Mit "Werk ohne Autor" hat er sicherlich einen weiteren wichtigen deutschen Film realisiert, in den USA war der Film so erfolgreich, dass er nicht nur eine Oscarnominierung als bester Auslandsfilm erhielt, sondern noch eine weitere für die großartige Kameraarbeit.
Denn der Künstler Kurt Barnert zeigt in Wahrheit das Leben und den Werdegang des deutschen Malers, Bildhauers und Fotograf Gerhard Richter. Dessen Tante wurde tatsächlich im Rahmen der zweiten Phase der nationalsozialistischen Euthanasie durch NS-Ärzte ermordet. Der Vater von Richters erster Ehefrau gehörte als SS-Führer und Verantwortlicher für die Zwangssterilisation zu den Tätern. Opfer und Täter sind von Gerhard Richter mehrfach porträtiert worden, offenbar ohne dass ihm diese Hintergründe bewusst waren.
Im zweiten Teil des Films lernt der junge aufstrebende an der Dresdner Kunstakademie, wo er Malerei studiert, die junge Ellie (Paula Beer) kennen, die ihn stark an seine verstorbene Tante erinnert. Ellie ist die Tochter von Prof. Seeband. In Dresden schwört man auf den Sozialen Realismus, die Künstler sollen sich in den Dienst des Staates, in den Dienst einer höheren Sache stellen. Seeband versucht die Liason seiner Tochter mit allen Mitteln zu verhindern, muss aber selbst Angst haben, dass irgendwann seine dunkle Nazivergangehheit publik wird, die er bisher verschleiern konnte. Kurt und Ellie heiraten und können wie Seeband in den Westen fliehen. Dort wird er von dem seltsamen Professor Antionus van Verten (Oliver Masucci) in der Kunstakademie aufgenommen. Er probiert dort vieles aus, aber erst das Zeitungsbild eines gefassten Nazi-Euthanasiegutachters, das Foto von ihm und seiner Tante und die vier Passfotos seines Schwiegervaters inspirieren ihn dazu diese Bilder fotorealistisch abzumalen. Als Collage wirken sie auf seinen Schwiegervater wie die Offenlegung seines Geheimnisses....






Obwohl Kurt nicht ahnt warum Seeband so erschrocken bis ergriffen ist, weiß er ab diesem Zeitpunkt, dass er sich auf seine Intuition verlassen muss. Es gibt irgendwas, was das Intellekt nicht fassen kann, aber wahrhaftig und echt ist. In diesem Sinne ist "Werk ohne Autor" auch ein Film, der in der Schwebe bleibt und nicht alles auflöst oder erklärt. Vielleicht ist "Werk ohne Autor" für manchen Zuschauer insgesamt zu schwammig und zu künstlich, dennoch muss man dem Film etwas bescheinigen, was heute eher selten ist: Er übt eine eigenartige Faszination aus. Und bleibt auch nach dem Abspann interessant, denn man fragt sich wer oder was diese drei Bilder so zusammengefügt hat. War es wirklich nur der Instinkt des Künstlers ?
Die Schauspielerleistung sind hervorragend. Und Sebastian Koch scheint inzwischen die Rolle des Nazi-Arztes abonniert zu haben. Schon in Kai Wessels "Nebel im August" spielte er den Arzt, der die Kranken auf politischen Befehl erlöst.






Bewertung: 9 von 10 Punkten. 
 

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