Samstag, 24. März 2018

Nikita

























Regie: Luc Besson

Vom Drogenjunkie zum Auftragskiller...

Schon sein erster großer Kinoerfolg mit dem stylischen Thriller "Subway" aus dem Jahr 1985 hatte sehr schnell eine begeisterte Fangemeinde und wurde von dem französischen Filmkritiker Raphael Bassan als wichtiger Vertreter des "Cinema du look" bezeichnet. Diese typisch französische Filmbewegung in den 80er Jahren zeichnete sich vor allem dadurch aus,dass die Kullissen, Szenenbilder und Handlungsorte bewusst künstlich gestaltet waren und Farb- und Lichteffekte kamen phasenweise als weiteres dominierendes Element der Optik hinzu. Die Form war wichtiger wi eder Inhalt, der Stil viel wichtiger als die Substanz und die Geschichte war nur ein Nebenschauplatz. Weitere Vertreter des Cinema du look waren Jean-Jacques Beneix (Diva, Betty Blue - 37,2 Grad am Morgen) und Leos Carax (Die Nacht ist jung, Die Liebenden von Pont Neuf).
"Nikita" war der 3. Erfolgsfilm von Luc Besson nach "Subway" und "Im Rausch der Tiefe" und ist ein interessanter Thriller-Stilmix aus Noir, B-Picture, Undergroundmovie und Exploitation Film und alles hat einen sichtbar französischen Einschlag. Im Fokus des Films stehen junge entfremdete Charaktere am gesellschaftlichen Rand französischer Jugend in der Ära von Mitterand. Hinzu kommt eine zynische Sicht auf den Staatsapparat, auf die Polizei und auf den Geheimdienst.
Und die Handlung kommt gleich auf den Punkt, denn in Saint-Denis ist ein Gangster-Quartett gerade dabei eine Apotheke auszurauben. Die Yunkies Coyotte (Patrick Fontana), Zap (Alain Lathiere), Rico (Marc Duret) und Nikita (Anne Parrilaud) sind zu allem entschlossen, denn sie brauchen Stoff. Die Apotheke von Coyottes Vater ist das Ziel. Während die anderen den Stoff suchen und die Ladeneinrichtung demolieren, kauert sich Nikita unter die Ladentheke. Dass der Vater mit der Knarre aufkreuzt und kurze Zeit später ein riesigen Polizeiaufgebot bekommt sie gar nicht richtig mit. Sie wacht erst wieder auf, als ihre Kumpel schon alle tot auf dem Boden liegen und ein Polizist sich ihr genähert hat. Sie drückt ab und tötet ihn. Für dieses Verbrechen wird sie zu 30 Jahren Zuchthaus verknackt. Doch sie bekommt eine zweite Chance. Der Geheimdienst erkennt aber in ihr ein großes Killerpotential und täuscht daraufhin den Suizid Nikitas vor. In Wirklichkeit bekommt sie eine völlig neue Identität, aber zuerst kommt sie in ein geheimes Ausbildungszentrum. Dort wird sie als Spezialagentin und Auftragsmörderin für Vater Staat ausgebildet.
Ihr Mentor wird der Agent Bob (Tcheky Karyo) und bei der vornehmen Amande (Jeanne Moreau) lernt sie Benimmregeln und wie sich als Frau optisch am perfektsten verkauft. Eines Tages ist es soweit. Die Ausbildung verlief erfolgreich und Bob lädt sie zum ersten Mal seit vielen Monaten wieder in die Stadt ein. Beim Essen eröffnet er seinem Schützling aber überraschend, dass nun auch der erste Auftrag stattfinden muss. Mit einer Knarre soll sie den Mann am Nebentisch kalt machen und hat 3 Minuten Zeit zur Flucht.
Nachdem sie diese harte Feuertaufe bestanden hat, lebt sie vortan zuerst mal ein ruhiges Leben, bis der nächste Auftrag per Telefon bestimmt wird. In dieser Zeit lernt sie den Verkäufer Marc (Jean Hugues Anglade) kennen...




In einer Nebenrolle ist Jean Reno als Tatortaufräumer zu sehen. Eine Figur, die einige Jahre später auch bei Quentin Tarantinos Meisterwerk "Pulp Fiction" wieder auftaucht - dort macht aber Harvey Keitel sauber. "Nikita" ist ein dunkler und düsterer Großstadtthriller, der sich sehr kalt anfühlt. Natürlich ist die Handlung sehr obskur. Welcher Geheimdienst bildet schon Drogenjunkies zu Geheimwaffen aus ? Aber warum nicht. In einem B-Picture ist das erlaubt und Luc Besson hat die Aufgabe den etwas absurden Stoff optisch zu veredeln und dies gelingt ihm ausserordentlich gut. Die Szene im Restaurant ist dynamisch und superspannend inszeniert, ebenso wie das Attentat vom Fenster aus in der Lagunenstadt Venedig. Sehr Film Noir würdig ist dann das Ende, wenn die beiden Männer in Nikitas Leben die Geschichte mit einem klärenden Gespräch beschließen.




Bewertung: 8 von 10 Punkten. 

Tisch und Bett

























Regie: Francois Truffaut

Szenen aus Antoines Ehe....

"Tisch und Bett" aus dem Jahr 1970 ist der vorletzte Film in Francois Truffauts "Antoine Doinel-Zyklus". Diese Filmreihe, die sich über 20 Jahre erstreckt, ist einmal in der Geschichte des Kinos. 1959 fing alles an mit Truffauts Debüt "Sie küßten und sie schlugen ihn" - hier zeigt der Regisseur die schwierige Kindheit von Antoine, der unter seiner ignoranten Umgebung leidet. Drei Jahre später steuerte Truffaut in dem Epsiodenfilm einen Auschnitt aus dem Teenagerleben bei - "Liebe mit Zwanzig". Es folgten "Geraubte Küsse", hier lernt Antoine seine spätere Ehefrau Christine Darbon kennen, die von der Schauspielerin Claude Jade verkörpert wurde. Sie wurde zum festen Bestandteil der Reihe, denn am Ende des federleichten und sehr franzöischen Films wird geheiratet. Genauso locker kam auch "Tisch und Bett" rüber, der allerdings thematisch eine schwierige Zeit im Leben des Protagonisten beschreibt. Der Alltag der Ehe und Antoines Fremdgehen. Der 1979 inszenierte "Liebe auf der Flucht" komplettiert die Reihe.
"Tisch und Bett" hat wie sein Vorgänger einen umwerfenden Charme und hier kann der Regisseur seine Stärken alle in das Projekt mit einbringen. Alles wirkt sehr leicht und fast ein bisschen beschwingt, was natürlich zum Charakter von Antoine bestens passt. Antoine ist trotz der Jugend ein Stehaufmännchen, ein bisschen Narzist, der den Hang hat irgendwie in den Tag hinein zu leben. Eine Art Lebenskünstler, der auch immer wieder viel Glück hat. Was auch seine Anstellung bei einem rennomierten Geschäftsmann zeigt. Trotz ganz schwachem Vorstellungsgespräch wird er eingestellt.
Ansonsten leben Antoine (Jean Pierre Leaud) und seine Christine (Claude Jade) in einem großen Mietshaus, wo jeder Jeden kennt und das Leben im Hinterhof des Hauses stattfindet. Mit den unmittelbaren Nachbarn (Silvana Blasi/Daniel Boulanger) kommt das junge Paar bestens aus, auch zu den anderen Nachbarn ist der Kontakt bestens. Christine erteilt mehr oder weniger begabten Kindern im Wohnzimmer Geigenunterricht, während ihr Gatte im Hof Blumen einfärbt.
Das junge Paar besucht regelmässig Christines Eltern (Daniel Ceccaldi/Claire Duhamel) und im Haus selbst ist immer mal wieder "der Würger" (Claude Vega) das Tagesgespräch. Alle haben das Gefühl, dass dieser sehr verschlossene neue Mieter sogar ein Verbrecher sein könnte oder zumindest ein dunkles Geheimnis hat. Später wird er aber von allen Mietern beglückwünscht, denn irgendwann erscheint er im Fernsehen, wo er in dem Resnais Stück "Letztes Jahr in Marienbad" mitspielt.
Durch den neuen Job lernt Antoine die Japanerin Kyoko (Hiroko Berghauer) kennen, mit der er heimlich eine heiße Affäre beginnt. Das erste Kind von Antoine und Christine kommt zur Welt. Und der Seitensprung wird aufgedeckt durch sich öffnende Blumen, was die Ehe dann natürlich in eine große Krise stürzt....




Der Film strahlt die für den Regisseur typische Lebensfreude und Leichtigkeit aus, der ernste Hintergrund wird durch die liebenswürdige Atmosphäre gemildert. So wie das Leben halt spielt...vieles erträgt der Mensch durch eine gewisse Gelassenheit und genauso sehen wir dies in Truffauts Film, der 1970 von der New York Times zum besten Film des Jahres gekürt wurde. Seit dem wunderbaren Klassiker "Sie küßten und sie schlugen ihn" war die Figur des Antoine offensichtliches Alter Ego auf der Leinwand. Kameratechnisch wurde "Tisch und Bett" wieder einmal von Nestor Almendros veredelt, die Bilder - aber auch die Szenenbilder - sind hervorragend gelungen. In einem Cameo-Auftritt ist Jacques Tati als Monsieur Hulot zu sehen.




Bewertung: 9 von 10 Punkten.

Das Mädchen und der Kommissar

























Regie: Claude Sautet

Kleine Gangster zum großen Verbrechen animieren...

"Diese Verbrecher muss man auf frischer Tat ertappen, Das wissen sie genau. Anders ist denen nicht beizukommen" - so lautet die Maxime des Pariser Kommissars Max, der von Michel Piccoli gespielt wird" und diesen Satz sagt er in Claude Sautets Gangstermovie "Das Mädchen und der kommissar" zum Chefinspektor.
Der Film wurde 1971 inszeniert und Sautet arbeitete zum zweiten Mal mit dem Schauspielerduo Michel Piccoli und Romy Schneider zusammen, nachdem diese Zusammenarbeit bereits ein Jahr zuvor mit "Die Dinge des Lebens" so erfolgreich verlief. Sautet selbst wollte zuerst Catherine Deneuve oder Marlene Jobert für die Rolle der Prostituierten Lilly und die Produzenten des Films hätten lieber Alain Delon oder Yves Montand in der Rolle des Max gesehen.  Doch Piccoli und Schneider überzeugen hier in ihren Rollen.
Max (Michel Piccoli) war früher Richter und trägt eine alte Schuld mit sich, daher will er als Polizist einen Teil seiner Schuld wiedergutmachen. Er will die Bösen fassen und ist eine Art Fanatiker geworden. Max macht seinen Job aus Überzeugung und er ist ein Einzelgänger, der zwar von seinem Boss (Philippe Leotard) sehr geschätzt wird, aber auch etwas mit Argwohn beobachet wird. Sein Kollege Inspektor Losfeld (Philippe Leotard) hät auch große Stücke auf ihn, für die meisten anderen Kollegen ist er nicht durchschaubarer Sonderling.
Tatsächlich sind die Methoden der Verbrechensbekämpfung von Max sehr fragwürdig. Denn er legt für die Gangster einen Köder aus und erst durch diesen Köder wird aus einer Bande von Kleinkriminellen eine Gangstergruppe, die einen großen Coup plant. Und auch dieser Coup wird von Max forciert und gefördert. Grund dieser Falle ist die immer größer werdende Anzahl von geglückten Banküberfällen in Paris, wo es auch Tote zu beklagen gab. So kommt Max auf die Idee sich als Schrotthändler auszugeben und sich an eine kleine Ganoventruppe aus Nanterre heranzumachen, die bislang riesige Kabelrollen von Baustellen abschleppen und klauen und weiterverkaufen. Einer dieser Kleingangster ist Abel (Bernard Fresson), ein früherer Bekannter von Max, den er durch den Militärdienst kennenlernte und der einge Jahre in der Fremdenlegion war. Er nimmt Kontakt mit ihm auf. Abel meint zwar, dass dies einfach ein zufälliges Wiedersehen auf der Straße war. Und bei dieser Gelegenheit spielt der Kommissar den Verführer für die Gruppe, denn er pfanzt die Idee vom großen Coup in den Kopf seines alten Kumpels. Zusätzlich nimmt er Kontakt mit Abels Freundin Lili (Romy Schneider) auf. Die attraktive Frau kommt aus Deutschland, heißt eigentlich Julia Anna Ackermann und arbeitet als Prostituierte. Sie ist unzufrieden, weil sie ihren Freund als Versager ansieht, der bisher nichts aus seinem Leben gemacht hat. Als einflussreicher Bankier getarnt nimmt Max Kontakt mit dem Mädchen auf und versucht durch diese Bekanntschaft noch mehr Manipulation zu schaffen. Der Banküberfall in der Filiale, wo er vorgibt als Banker tätig zu sein, ist immer dann sehr lukrativ, wenn dort eine große Menge Geld lagert.
Lili ist von dem neuen Freier sehr angetan, denn er ist großzügig...aber auch irritiert, denn er verzichtet auf den schnellen Sex. Stattdessen leistet sie ihm Gesellschaft und irgendwie empfindet die Frau eine gewisse Zuneigung zu dem seltsamen vermögenden Mann. Irgendwann gelingt der Plan des Kommissars und es kommt zum Überfall....



Am Ende wird Max gelobt für den erfolgreichen Einsatz und der Niederstreckung der Bankräuber. Doch in diesem Moment kommt der für den Distrikt Nanterre zuständige Kommissar Rosinky, gespielt von Francois Perrier, mit ins perfide Spiel. Der hat herausgefunden wie sehr Max diesen Überfall forciert hat und will auch Lili als Mitwisserin und Stichwortgebeberin in den Knast bringen. Hier wird dann Max zum Vollstrecker, um das Mädchen zu schützen. Tatsächlich liegt in der ambivalenten und gar nicht so einfach zu durchschauenden Beziehung zwischen Lili und Max die eigentliche Stärke des Films, im Grunde schenkt Max diesem Liebchen des Gangsters für eine gewisse Zeit eine neue Existenz und sie lässt sich für einige Momente darauf ein, um vielleicht das frühere Leben aufzugeben. Beide spielen ein doppeltes, ja falsches Spiel mit dem Anderen - doch da ist noch mehr. Dies wird aber nicht besprochen, sondern man kommt zu diesem Schluß durch die Blicke und durch das Verhalten der beiden tragischen Figuren.




Bewertung: 8 von 10 Punkten. 

Ein Rabbi im wilden Westen

























Regie: Robert Aldrich

Frisco Kid....

Die 1979 entstandene Western-Comedy "Ein Rabbi im wilden Westen" (Original: The Frisco Kid) ist der vorletzte Film von Robert Aldrich. Zuerst war Dick Richards als Regisseur des Films vorgesehen, dann musste Aldrich einspringen. So gesehen ist der Film sicherlich eine routinierte Auftragsarbeit für Aldrich gewesen und spielte immerhin seine relativ hohen Produktionskosten von fast 10 Millionen Dollar wieder ein. Zuerst sollte John Wayne den Part von Harrison Ford übernehmen. Der Duke hatte schon die Filme "True Grit" und "Rooster Cogburn" zu Erfolgen gemacht, aber seine zunehmende Erkrankung verhinderte dies und so bekam der damalige Youngster Ford den Vorzug.
Filmkritiker Roger Ebert schrieb von einem Film, der eigentlich Niemandes Handschrift trägt, dennoch gelang es Aldrichs Routine einen unterhaltsamen Film zu schaffen. Gene Wilder gelingt es auch den naiven Rabbi Avram Belinski nicht nur komisch und als Witzfigur zu spielen, sondern er stattet den Mann Gottes auch mit einer gewissen Würde und einer starken Sympathie aus.
Tatsächlich erinnert man sich beim Sehen an die bereits erwähnten Wayne-Westernklassiker, aber sicherlich stand auch der erfolgreiche "Cat Ballou" als Inspriation im Raum.
Die Geschichte fängt in Polen an. Der Rabbi Avram Belinski (Gene Wilder) hat die Yeshiva als Klassenschlechtester absolviert, als er dort die Thora und den Talmud studierte. Die jüdische Gemeinde in Polen entscheidet nun über den weiteren Werdegangs des frischgebackenen Rabbis und so wird er in die neue Welt Amerika geschickt, dort soll er in der Kleinstadt San Francisco als neuer Rabbi eingesetzt werden. Für die dortige Synagoge hat er natürlich die wertvolle Thorarolle mit dabei, auch ein bisschen Geld nimmt er auf die gefährliche Reise mit, die ihn zuerst nach Philadelphia führt. Da Avram ein herzensguter Mensch ist, auch etwas naiv und weltfremd, fällt er dort auf die fiese Arglist der drei Ganoven Matt Diggs (George DiZenzo), Matt Diggs (William Smith) und Mr. Jones (Ramon Bierri) herein. Die versprechen ihn nach San Francisco zu bringen, doch gleich zu Anfang der Reise wird er von den Schurken zusammengeschlagen, ausgeraubt und einfach auf dem Weg liegengelassen.
Dieser Zwischenfall sorgt dafür, dass der Rabbi einige Tage bei den Amish People übernachten und irgendwann den Banditen Tommy Lillard (Harrison Ford) kennenlernt. Aus dem ungleichen Duo entsteht eine Freundschaft und sie erleben einige typische Wildwest-Abenteuer. Sie werden von Indianern gefangengenommen, sie sollen am Marterpfahl sterben. Doch dieser sonderbare Rabbi imponiert den Häuptling Chief Black Cloud (Van Bisoglio). Auch bei Mönchen kommen die beiden unter, bis der Rabbi den drei Banditen erneut begegnet und sich der Konflikt verschärft. Erst in San Francisco selbst kommt es zum Showdown und zur Heirat mit Rosalie Bender (Penny Peyser), der hübschen Tochter des Gemeindevorstehers...



Tatsächlich ist die Handschrift von Aldrich nicht sonderlich zu erkennen. Der Regisseur, der oft eine zynische Tonart wählte, hat hier einen Film inszeniert, der sehr harmonisch und sanft geprägt ist. Man schaut zwar vergnügt dem Rabbi auf seiner kleinen Odyssee nach San Francisco zu, aber man hat nicht das Gefühl, dass er wirklich in große Gefahr kommen könnte, dazu ist die Grundstimmung des Films zu positiv und humorvoll.
Sehr gelungen sind die ungewöhnliche Unschuld und selbstlose Demut, die der Film mitunter ausstrahlt. Ebenfalls erfrischend ist der jüdische Humor in diesem etwas in Vergessenheit geratenen Buddy Movie. 




Bewertung: 7 von 10 Punkten. 

Donnerstag, 15. März 2018

Lügen und Geheimnisse

























Regie: Mike Leigh

Die unbekannte Tochter...

Der britische Film "Lügen und Geheimnisse" wurde von Regisseur Mike Leigh im Jahr 1996 gedreht. Der Filmemacher aus Salford hat schon im Jahr 1971 seinen ersten Film realisiert und gilt als wichtiger Vertreter des New British Cinema. In seiner nunmehr weit über 40 Jahre langer Karriere hat er aber relativ wenige Kinofilme realisiert. Der Ensemblefilm "Lügen und Geheimnisse" dürfte aber neben dem 1993 entstandenen Verliererportrait "Nackt" sein bester und überzeugendster Film sein.
Er brachte es bei der Oscarverleihung 1997 auf insgesamt fünf Nominierungen. So wurde er als bester Film vorgeschlagen. Mike Leigh schaffte es unter die besten fünf Regisseure, die beiden Darstellerinnen Marianne Jean-Baptiste und Brenda Blethyn wurden berücksichtigt und auch das beste Originaldrehbuch (hat Mike Leigh selbst verfasst) wurde nominiert. Am Ende gabs zwar keinen Oscar - im Jahr 1997 räumte Anthony Minghellas "Der englische Patient" ab. Dennoch konnte es vor allem Brenda Blethyn als Hauptdarstellerin etwas gelassen sehen, schließlich gewann sie einige Wochen vorher den Golden Globe. Sie hatte leider das Pech, dass die großartige Darstellung von Frances McDormand als Marge Gunderson in "Fargo" im gleichen Jahr im Oscar-Rennen war. Ebenso war die starke Leistung von Emily Watson für "Breaking the Waves" unter den Konkurrenten - ein sehr starkes Aufgebot.
Im Grunde ist "Secret and Lies" (so der Originaltitel) ein perfekter Ensemblefilm, denn neben den beiden bereits erwähnten Darstellerin brilliert die gesamte Schauspielerriege und jeder spielt seine Rolle einfach hervorragend.
Eigentlich ein sehr dramatischer und trauriger Stoff, doch Mike Leigh schafft es aus einer schwerwiegenden Familienkonstellation bedeutende Hoffnungsschimmer zu platzieren, am Ende strahlt die Geschichte durch eine positive Wendung.
"Lügen und Geheimnisse" beginnt mit einer Beerdigung. Die Adoptivmutter der farbigen Optikerin Hortense Cumberbatch (Marianne Jean-Baptiste) ist verstorben, der Adoptivvater ist schon länger tot. Nun hat Hortense den Wunsch mehr über ihre leiblichen Eltern zu erfahren. Ihre Adoptiveltern sagten ihr bereits im Alter von 7 Jahren, dass sie nicht die echten Eltern sind. Sie macht einen Termin mit der Sozialarbeiterin (Leslie Manville) aus, die ihr dann die Akten zur Verfügung stellt und Hortense auch die Hilfe anbietet, sollte sie sich wirklich entscheiden mit der echten Mutter Kontakt aufzunehmen. Den Namen des Vaters hat die Kindesmutter damals nicht genannt. Hortense fährt mit ihrem Auto durch die Straße, wo diese unbekannte Frau - ihre Mutter - lebt. Sie wählt deren Nummer, legt aber wieder auf. Doch dann entschließt sie sich tatsächlich zu reden und verabredet sich mit der Frau an der anderen Leitung - es ist die in eher ärmlichen Verhältnissen lebende Fabrikarbeiterin Cynthia (Brenda Blethyn) - eine Frau mittleren Alters, recht naiv und einfach gestrickt. Die hat noch eine weitere uneheliche Tochter namens Roxanne (Claire Rushbroke), die bei der hiesigen Müllabfuhr als Straßenkehrerin und ist ständig mürrisch, mit sich und ihren Leben eher unzufrieden. Sehr oft streiten Mutter und Tochter. Roxanne hat aber einen Freund, der Paul (Lee Ross) heißt, aber gar keine Lust hat den Typen ihrer Mom vorzustellen. Cynthia liebt ihren jüngeren Bruder Maurice (Timothy Spall), der als Hochzeits- und Portraitfotograf arbeitet, mit der unzufriedenen Monica (Phyllis Logan) verheiratet ist und sogar eine Angestellte (Elizabeth Berrington) in seinem Fotoladen beschäftigen kann. Er liebt seine Schwester, denn die hat ihn nach dem Tod der Eltern alleine aufgezogen und gab ihm viel Liebe. Aber mit Monica kommt sie nicht gut aus, die beiden Frauen mögen sich nicht. Deshalb haben sich Bruder und Schwester schon seit längerem nicht gesehen - sie hatten lediglich durch Telefonate Kontakt. Maurice und Monica haben ein Haus gekauft und Cynthia ist etwas gekrängt, weil sie noch nie dorthin eingeladen wurde.
Das erste Treffen zwischen Cynthia und Hortense läuft kurios ab - zuerst glaubt Cynthia an einen Scherz oder eine Verwechslung, denn Hortense ist ja dunkelhäutig. Doch dann fällt es ihr wieder ein. Sie hat allerdings Angst, dass ihre Tochter erfährt, dass sie noch eine unbekannte Schwester hat. Maurice und Monica wussten zwar von der Adoption, damals war Cynthia erst 15 Jahre alt und nicht in der Lage ein Kind großzuziehen. Sie haben zwar immer gewollt, dass Cynthia Roxanne von dieser Tatsache in Kentniss setzt, doch dazu kam es dann nie. Vor allem wusste auch keiner, dass das Kind dunkelhäutig ist. So schöpft zuerst auch keiner Verdacht als Cynthia zur Geburtstagsfeier von Roxanne (sie wird 21 Jahre) eine Arbeitskollegin mitbringen möchte. Der Bruder hat zu einem Barbeque im neuen Haus eingeladen. Und alle sind positiv überrascht von Mutters Freundin - bis zu dem Zeitpunkt als Cynthia ihr lange gehütetes Geheimis lüftet. Das führt zum Krach, aber im Laufe dieser Dynamik werden noch ein paar Lügen und Geheimnisse ans Tageslicht gebracht...



Und der Film endet am Schluß mit viel Hoffnung, er stimmt einfach positiv und zeigt, dass man auch aus schwerwiegenden Konflikten gestärkt herausgehen kann. Die Darsteller sind brilliant und verleihen ihren Figuren Echtheit und Leben. Timothy Spall ist dabei derjenige, der es versteht die Familie zusammenzuhalten, er hat eine versöhnliche und sehr geduldige Art an sich. Seine Frau wird gespielt von Phyllis Logan, die auch eine beeindruckende Performance zeigt - eine frustierte Ehefrau, die ebenfalls ein Geheimnis hat und so darunter leidet, dass es auch nie zum Thema wurde. Das Problem wurde einfach totgeschwiegen. Claire Rushbroke spielt die chronisch übel gelaunte Rosanne und in einer der späten Szenen zeigt uns Mike Leigh auch die weiche Seite dieses Mädchens, dass vor allem mit ihrer Mom ständig im Clinch liegt. Hauptfiguren sind natürlich Cynthia und Hortense. Beide Rollen zurecht hochgelobt. Der Film wurde auch in die Liste des British Film Institute "Die 100 besten britischen Filme aller Zeiten", hier landete Mike Leighs Film auf einem ausgezeichneten 40. Rang.



Bewertung: 10 von 10 Punkten.