Freitag, 22. September 2017

Fargo

























Regie: Joel Coen

Dreifachmord in Brainerd...

Der große Gewinner der Oscarwahl 2007 war Anthony Minghellas umstrittenes Epos "Der englische Patient" - er gewann 9 Oscars. Dieser Trophäenregen ging leider auch zu Lasten der Coen Brothers, die mit "Fargo" einen ihrer besten Filme im Oscarrennen hatten. Am Ende siegten die Brüder für ihr Drehbuch und Hauptdarstellerin Frances McDormand war so überzeugend, dass sie nicht übergangen werden konnte. Trotz großer Konkurrenz, zu der auch Emily Watson für ihre phänomenale Leistung in Lars von Triers "Breaking the Waves" gehörte.
Überzeugend ist "Fargo" vor allem auch durch seine winterliche Location, die von Roger Deakins perfekt eingefangen wird. Auch die melancholische Musik von Carter Burwell ist ein stimmungsvoller Verstärker für eine eigentümliche Atmosphäre. Das Salz in der Suppe sind aber die herrlich schrägen Figuren, die die beiden Brüder hier für ihre Geschichte - nach wahren Begebenheiten - auffahren lassen.
"Fargo" ist auch ein Verliererepos in der Gestalt des 1. Verkaufsleiters eines Autohauses in Minneapolis. Dieser Jerry Lundegaard (William H. Macy) arbeitet im Winter des Jahres 1987 unglücklich in seiner Position im Autohaus seines reichen Schwiegervaters Wade Gustafson (Harve Presnell). Zu allem Unglück ist Jerry auch noch mit dessen Tochter Jean (Kristin Rudrud) eher unglücklich verheiratet, nur an seinem Sohn Scotty (Tony Denman) scheint ihm etwas zu liegen. Jerry lebt auf großem Fuß und steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Seinen fiesen Schwiegervater will er nicht um Geld bitten, ebenso wäre es eine Kränkung, wenn er die Ehefrau um Geld bitten müsste. So entschließt er sich seine Ehefrau - bequem und ohne Brutalität - entführen zu lassen, das Lösegeld vom Schwiegervater dann selbst einstecken zu können. Von seinem vorbestraften indianischen Arbeiter Shep Proudfoot (Steve Reevis) bekommt er zwei äusserst schräge Galgenvögel vermitteln, die die Frau kidnappen sollen. Mit denen trifft er sich in einer Bar in Fargo, übergibt denen ein neues Fahrzeug aus der Werkstatt und mit 40.000 Dollar sind die zwei Schurken bereit zu diesem scheinbar einfachen Kidnapping-Deal. In Wirklichkeit ist die Summe, die Jerry als Lösegeld seinem Schwiegervater präsentiert, viel höher: 1 Million Dollar soll der steinreiche Gustafson locker machen, damit seine Tochter freigelassen wird. Zuerst funktioniert die Entführung ohne Probleme. Die Frau wird in den Kofferraum des Wagens gesteckt. Doch auf der nächtlichen Fahrt zu ihrem angemieteten Häuschen werden die Entführer von einem Streifenwagen angehalten. Der schweigsame Gaerar Grimsrud (Peter Stormare) hält auch nicht viel von der nervösen Art seines Komplizen Carl Showalter (Steve Buscemi) und erschießt den Polizisten auf offener Straße. Ein Auto mit zwei Teenager fährt zufällig am Tatort vorbei. Das ist leider auch deren Todesurteil, weil sie von Grimsrud mit dem Auto gejagt werden und in der Schneelandschaft erschossen werden. Da dies alles in der Kleinstadt Brainerd passiert, dem Heimatort des sagenumwobenen Holzfällers Paul Bunyan, muss die hochschwangere Polizeichefin Marge Gunderson (Frances McDormand), die Ermittlungen aufnehmen...






Und der Zuschauer wird Zeuge ihrer äusserst klugen und weitreichen Ermittlungen, zwischen ihrer Arbeit kümmert sich Marge auch noch liebevoll um ihren Ehemann Norm, gespielt von John Carrol Lynch, und trifft sich mit einem alten Schulfreund. Die Coens haben ein Gespür für die etwas verschrobenen Menschen, die dort im Bundesstaat Minesota leben. Diese Landbevölkerung wird von den beiden Filmemacher sehr liebevoll und respektvoll gezeichnet, dabei kommt aber der Humor nicht zu kurz. Trotz der spannenden Geschichte, bei der es sehr viele Opfer zu beklagen gibt, haben die Macher immer wieder Zeit für skurrile Szenen. Viele davon sind unvergessen, auch die Szene als der Deputy einen Einheimischen befragt, der die Bekanntschaft mit den beiden Schurken gemacht hat und dies dem Gesetzeshüter mitteilt, während er vor dem Haus den Schnee wegschaufelt. Am Ende gucken beide in den Himmel und orakeln, dass es bald wieder schneien wird. Eine Wucht ist auch Frances McDormand, die mit William C. Macy einen ebenbürtigen Partner erhalten hat.
Ich liebe Thriller, die im Schnee spielen und Fargo ist natürlich einer der besten dieser Gattung.






Bewertung: 10 von 10 Punkten. 

Mittwoch, 20. September 2017

Silence

























Regie: Martin Scorsese

Gefährliches Christentum...

Mit seinem 2016 inszenierten Filmdrama "Silence" erweitert Martin Scorsese seine religiös geprägten Filme wie "Die letzte Versuchung Christi" aus dem Jahr 1988 und "Kundun" von 1997. Der Film handelt von der Verfolgung zweier portugiesischer Missionare während der christenfeindlichen Haltung, die von der Regierung des Tokugawa Ieyasu (1543 bis 1616) einige Jahre zuvor bereits eingeleitet wurde und erschreckende Ausmaße annahm. Die noch wenige Jahrzehnte zuvor willkommen geheißende christlichen Missionare wurden verfolgt und wenn sie ihrem Glauben nicht abschworen, dann wurden sie grausam ermordet. Diese Priester hatten sehr viele einfache Japaner, vor allem Bauern, friedlich zum Christentum bekehrt. Da die Anerkennung der Kirche als höchste Autorität mehr und mehr als Angriff auf die herrschende Machtordnung gewertet wurde, kam es zu einem Ende der toleranten Haltung und somit zur Verfolgung.  Die christliche Religion wurde verboten, weil sie gefährlich war.
"Silence" beginnt mit einer dramatischen Szene, der portugiesische Prieser Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) im Jahr 1639 muss mitansehen, wie viele der von ihm bekehrten japanischen Konvertiten zu Tode gefoltert werden. Ein paar Jahre später erhält der Jesuitenpater Alessandro Valignano (Ciaran Hinds) in Macau die Nachricht, dass Ferreira in Japan seinem Glauben abgeschworen hat, nachdem auch er massiv gefoltert wurde. Ferreiras ehemalige Schüler, die Jesuitenpriester Sebastiao Rodrigues (Andrew Garfield) und Francisco Garupe (Adam Driver) können dies nicht glauben. Niemals wäre ihr Mentor durch die Folter schwach geworden und nie hätte er seinem Glauben abgeschworen. So reisen die beiden jungen Jesuiten heimlich nach Japan, um ihren früheren Lehrer ausfindig zu machen. Als Führer steht ihnen nur der vom Glauben abgefallene Fischer Kichijiro (Yōsuke Kubozuka) zur Verfügung, der vor einiger Zeit aus seiner Heimat floh und nun seinen Kummer im Alkohol ertränkt. Im Dorf Tomogi finden sie Verbündete unter den einfachen Bauern.  Von ihnen werden die beiden Jesuitenpriester in den Bergen versteckt. Die Priester erfahren, dass in Japan Inquisitoren auf Christen ein Kopfgeld ausgesetzt haben. n Tomogi haben die Inquisitoren mittlerweile mehrere Dorfbewohner festgenommen und verlangen entweder den Tod von vier gläubigen Dorfbewohnern oder die Auslieferung der Jesuiten. Die Menschen fürchten sich vor dem Inquisitor und Gouverneur Inoue Masashige  (Issey Ogata). Auf die Frage der Bauern wie sich die Festgenommenen verhalten sollen, herrscht Uneinigkeiten bei den beiden Priestern. Sebastiao meint, dass die vier abschwören sollen - so können sie ihr Leben retten. Francisco lehnt dies aber strikt ab. Die beiden beschließen sich bei der Suche nach Ferreira zu trennen. Sebastiao nimmt den Weg abseits der Dörfer und die zunehmende Einsamkeit bringt auch einige Glaubenszweifel mit sich. Auf diesem einsamen Weg begegnet er wieder dem Fischer Kichijro, der sich immer mehr als sehr schwacher Glaubensbruder zu erkennen gibt. Er ist es auch, der Sebastiao an den Inquisitor ausliefert. Sein Lohn 300 Goldstücke - ähnlich wie Judas Iskariots Silberlinge. Sebastiao ist überrascht als der gefürchtete Inquisitor sich zu erkennen gibt. Ein älterer, körperlich eingeschränkter Mann, der mit ihm über die Gefahr des Christentums in Japans spricht. Doch Sebastiao bleibt standfest und schwört seinem Glauben nicht ab. Dadurch werden die gefangenen Bauern bestraft...





Kameramann Rodrigo Prieto (Amores Perros, Brokeback Mountain, Alexander, Babel) hat perfekte Bilder für dieses 159 Minuten lange Filmepos geschaffen. Für seine Leistung wurde er auch gerechterweise für den Oscar nominiert. Sein Japan sieht sehr oft unwirtlich aus, die Priester mühen sich durch unwegsames Gelände aus Dreck und Matsch. Es regnet oft. Dies gibt dem Film noch zusätzlich eine düstere Note. Die Geschichte ist es sowieso. Vom Grundgerüst erinnert das Drehbuch, basierend auf dem Roman "Chinmoku" von Shusako Endo, an "Apocalypse Now" - auch dort wird ein Mann im Kriegsgebiet gesucht, der vom "Glauben" abgekommen ist. Martin Scorsese beleuchtet beide Standpunkte und nimmt auch nicht nur die Position der Kirche ein. Andrew Garfield bekam mit "Silence" seine zweite große Filmhauptrolle in diesem Jahr. Nach dem ebenfalls sehr religiösen Kriegsheld Desmond Doss macht er auch als bärtiger Jesuitenpater eine gute Figur und erinnert an Charlton Hestons große Glaubensrollen. Adam Driver spielt klasse, ebenso die Japaner Issey Ogata und Tadanobu Asano als Dolmetscher. Von Martin Scorsese wie gewohnt markant und meisterhaft inszeniert: So bleiben die Szenen haften, in denen die Gläubigen eine Alternative zur Folter und Tod bekommen. Nur dem Glauben abschwören und sei es nur so zum Schein auf eine Christus Ikone auf dem Boden zu treten.
Der Zuschauer erfährt so auch von den Ambitionen der römisch-katholischen Kirche im 17. Jahrhundert, die als Menschenfischer in die entlegensten Winkel der Welt reisten, um den Glauben zu bringen. Scorsese zeigt ein grausames Japan, dass sich gegen diese frühe Form einer Globalisierung wehrt. Insgesamt kostete der Film ca. 50 Millionen, seine Kosten hat er an der Kasse bislang leider nicht eingespielt. Es war ein Herzensprojekt von Martin Scorsese und für mich ein sehr gelungener Historienfilm.




Bewertung: 8 von 10 Punkten. 

Montag, 18. September 2017

Sweet Sixteen

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Regie: Ken Loach
 
Kurz vor dem 16. Geburtstag...
 
Ken Loach lässt in seinem 2002 gedrehten Sozialdrama "Sweet Sixteen" offen, ob seine 15jährige Hauptfigur Liam möglicherweise zum Mörder, vielleicht sogar zum zweifachen Mörder wurde. Aber manchmal sind die Lebenswege auch schon so niederdrückend vorgezeichnet und die Menschen können nur schwer davon abgehalten werden in den Abgrund zu schlittern. Gespielt wird der schottische Teenager Liam vom Youngster Martin Compston so stark, dass er dafür sogar einen BAFTA Award bekam. Umso interessanter, dass dieser junge Schauspieler sich auch als Profifußballer in Schottland einen Namen machen konnnte.
Mit Handkameraaufnahmen gelang dem britischen Filmemacher der Arbeiterklasse ein fast dokumentarisch anmutendes Szenario. Sein Sozialstudie aus den heruntergekommenen Bezirken der schottischen Metropole Glasgow hat es in sich - leider kam sie 2002 ein bisschen zu spät in die Kinos, ein paar Jahre früher während des Siegeszuges des New British Cinema, wäre "Sweet Sixteen" sofort als ultimatives Meisterwerk gefeiert worden. So blieb einer der besten Filme von Ken Loach leider bis heute ein Geheimtipp.
Der Regisseur zeichnet dabei ein sehr wehmütiges Bild von einer Jugend ohne große Hoffnung. Diese von der Gesellschaft benachteiligte Unterschicht hat nicht mal in der eigenen Familie einen Schutzraum - die Sehnsucht nach Geborgenheit, Zärtlichkeit und bürgerlichen Träumen treibt aber den jugendlichen Helden in schnellen Schritten in die Kriminalität. Dabei läuft er nicht nur Gefahr ein Verbrecher zu werden, er opfert dabei sogar Freundschaften und seine Unschuld.
In ein paar Wochen wird Liam (Martin Compston) 16 Jahre. Gemeinsam mit seinem besten Freund Pitbull (William Ruane) hängt er jeden Tag nur noch ab.  Sie sind seit Monaten nicht nur zur Schule gegangen, statdessen verkaufen sie Zigaretten zu Dumpingpreisen. Immer wieder sitzt ihnen die Polizei im Nacken bei diesen illegalen Geschäften. Liams Mom Jean (Michelle Coulter) hockt im Knast für ein Delikt, dass ihr Freund Stan (Gary McCormack) begangen hat. Stan verdient sich gemeinsam mit Rab (Tommy McKee), Liams Großvater mit Drogendeals. Bei einem Besuch im Gefängnis soll Liam Jean Drogen von Stan übergeben, die sie dann im Knast verkaufen. Doch der Junge weigert sich, weil er nicht möchte, dass seine Mom noch eine weitere Strafe aufgebrummt bekommt. Er wird daraufhin nach dem Besuch von Stan und von seinem Opa zusammengeschlagen. Seine Schwester Chantelle (Annmarie Fulton) verarztet ihn, wie sie es schon oft getan hat. Aus Rache klaut Liam gemeinsam mit Pitbull eine Lieferung von Heroin aus Opas Großvaters Haus. Mit der Kohle will er seiner Mutter, die bald entlassen wird, ein besseres Leben ermöglichen - weit entfernt vom schlechten Einfluss ihres Liebhabers. Immerhin kann eine Anzahlung auf ein Wohnwagen in einem Trailerpark mit Blick auf den malerischen Firth of Clyde, gemacht werden. Durch den Verkauf der Drogen wird der örtliche Drogenboss Tony Douglas, ein Unternehmer mit bürgerlicher Fassade, auf Liam aufmerksam. Der braucht toughe Jungs, die für ihn Subunternehmer eines Pizza-Services werden wollen. Natürlich ist die Haupteinnahmequelle der dazugehörige Drogen-Bringdienst. Er macht die Sache gut, doch Pinball ist beim Drogenboss unerwünscht. Das führt zu einem Bruch zwischen den beiden Freunden...



Trotz der Unklarheit wie schwer die Verbrechen wirklich wiegen, wird dennoch klar, wohin der Filmemacher die Geschichte hinsteuert. Es ist eine beinahe Null Perspektive für den Jungen, dem in der letzten Einstellung von seiner Schwester zum 16. Geburtstag gratuliert wird. Loach hat die Hauptfigur sehr intensiv und sehr liebevoll geschildert, auch seine tiefe Sehnsucht nach einem besseren Leben. Doch es bleibt Illusion. Er merkt, dass er bei seinem Aufstieg in eine Bande zwar seine Finanzen aufbessert, aber noch viel wichtigeres verliert. Loach hat diese tragische Coming of Age Geschichte bewusst als nüchternes Verlierer-Epos geschildert. 



Bewertung: 9,5 von 10 Punkten. 

Samstag, 16. September 2017

Boston

























Regie: Peter Berg

Am Patriots Day...

Regisseur Peter Berg hat ein Faible für aktuelle und oft auch politische Stoffe, die er dann sehr kommerziell für ein großes Publikum inszeniert. "Operation Kingdom" beispielsweise zeigt einen terroristischen Anschlag in Saudi-Arabien. Marc Wahlberg schickte er als Scharfschützen nach Afghanistan, als Navy Seal war er mit der Ausschaltung des Talibanführers Ahmad Shah beauftragt. Hochaktuell und dramatisch war auch die ökologische Katastrophe, die durch die brennende Ölplattform "Deepwater Horizon" angerichtet wurde. Sein neuer Film "Boston" heißt im Original "Patriots Day" und schildert den Terrorakt, der sich am Boston Marathon 2013 ereignete und 3 Todesopfer forderte und mehrere hundert Verletzte hinterließ. Möglicherweise ist "Boston" Peter Bergs bislang ambitioniertester Film, aber der Film hat schwere Defizite beim Drehbuch. Ausgewiesen werden neben Peter Berg auch Matt Cook, Joshua Zetumer, Paul Tamasy und Eric Johnson als Schreiber und ist viel Wahres dran an dem Spruch, dass viele Köche den Brei verderben - die Dialoge sind leider total uninteressant und oberflächlich. Ein Manko, dass mir schon bei "Deepwater Horizon" auffiel - auch hier waren mehrere Autoren für die Texte verantwortlich. Der zweite Kritikpunkt ist die extrem patriotische Aufbereitung dieses interessanten Stoffes. Hier wird mir zuviel nationaler Zusammenhalt gegen die beiden Bösen gezeigt, man beschränkt sich aber auf Floskeln wie schrecklich das Alles ist und dass man die Verbrecher schnell fangen muss, bevor sie noch weiter aktiv Bomben zünden. Mehr Tiefgang bei den Figuren und man hätte damit einen brisanten Thriller zum hochaktuellen Thema des Terrorismus gestalten können - aber so bleibt "Boston" leider nur eine am Anfang etwas zähe aber wahrheitsgetreue Schilderung der Ereignisse und den anschließenden Ermittlungen. Mehr und mehr gewinnt der Film aber etwas an Fahrt, so dass Bergs neuer Film nicht gänzlich scheitert.
Am 15. April 2013 entschließen sich die Brüder Dzhokhar (Alex Wolff) und Tamerlan Tsarnaev (Themo Melikidze) zwei Bomben während des Boston Marathons detonieren zu lassen. Man sieht kurze Einblicke in die Wohnverhältnisse dieser scheinbar integrierten Neubürger. Tamerlans Frau (Melissa Benoist) hat ein kleines Kind und kurz nach dem Anschlag fordert sie ihren Mann auf für ihr Kind Milch im Drugstore nebenan zu holen. Obwohl sie weiß, was ihr Mann und ihr Schwager angerichtet haben, geht alles den gewohnten Gang weiter.
Um Identifikationen zu schaffen werden vor dem Anschlag mehrere Menschen, die später Opfer des Anschlags wurden, eingeführt. Ein junges Paar Patrick Downes (Christopher O´Shea) und Jessica Kensky (Rachel Brosnahan) entscheidet sich spontan beim Marathon zuzuschauen. Der Familienvater Steve Woolfenden (Dustin Tucker) ist mit seinem kleinen Sohn Leo (Lucas Thor Kelley) ebenfalls einer der Zuschauer, die die vielen Marathonläufer anfeuert. Auch Streifenpolizist Sean Collier (Jake Picking) hat an diesem Tag Dienst. Der chinesische Student Dun Meng (Jimmy O. Yang), der sich in Boston etwas einsam fühlt, wird an diesem Tag seinen schlimmsten Alptraum erleben. Der Boston Police Department Sergeant Tommy Saunders (Marc Wahlberg) ist an diesem "Patriots Day" eingeteilt für einen reibungslosen Ablauf des Rennens zu sorgen. Sein Vorgesetzter Commissioner Ed Davis (John Goodman) hält große Stücke auf seine Männer. Dann detonieren die Bomben, das Chaos ist perfekt. Sehr schnell wird klar, dass es sich um einen Anschlag mit terroristischem Hintergrund handelt und somit wird auch das FBI unter der Leitung von Special Agent Richard DesLauriers (Kevin Bacon) tätig. Die Ermittlungen werden auch nach Watertown ausgeweitet und somit ist auch Sergeant Jeffrey Pugliese (J.K. Simmons) einer der Verantwortlichen bei der Suche nach den unbekannten Attentätern. Aufgrund der Überwachungskameras werden die mutmaßlichen Täter sehr schnell ermittelt. DesLauriers zögert zwar erst noch die Fotos der Verdächtigen zu veröffentlichen, doch schließlich führt das Publikmachen der Bilder zum Erfolg und somit flüchten Dzhokhar und Tamerlan...



Leider werden die Polizisten zu sehr zu Helden erkoren, dabei haben sie nur eine gute Arbeit bei der Ermittlung dieser Terroristen getan. Aber die Amis lieben solche aufgemotzten Heldenstorys, so muss auch Marc Wahlberg sämtliche Register der Gefühlsregungen ziehen, vom eiskalten Verbrecherjäger, der den Anschlag sehr persönlich nimmt und sich auch während seines Jobs bei seiner Frau Carol (Michelle Managhan) kräftig ausheult. Dies ist alles menschlich nachvollziehbar - aber fügt einem Film mit dokumentarischen Anspruch doch zuviel an Pathos bei. Wie interessant der Film hätte gesamthaft werden können, zeigt die Szene, in der die Ehefrau von Tamerlan von einer muslimischen Ermittlerin (Khandi Alexander) befragt wird. Hier gehts in Richtung tieferer Ermittlung, welche Beweggründe zu dem Anschlag führten und somit auch ein bisschen in Prävention um solche Terrorakte vielleicht in Zukunft zu verhindert. Die Frau des Attentäters bleibt aber knallhart an der Seite ihres bereits getöteten Mannes und als Zuschauer kann man den tiefen Graben zwischen unserem freiheitlichen System und dem religiösen Fanatiker erkennen. Mit einen guten Schauspielerensemble konnte der Film an der Kasse ca. 50 Millonen Dollar weltweit einspielen. Für Berg sicherlich eine Enttäuschung - zumal "Deepwater Horizon" als auch "Lone Survivor" (seine bislang beste Arbeit) das Doppelte bis Dreifache einspielten.




Bewertung: 6,5 von 10 Punkten. 

Freitag, 8. September 2017

Nashville

























Regie: Robert Altman

It don´t worry me...

Nashville im US-Bundesstaat Tennessee hat ca. 600.000 Einwohner und ist das Zentrum der amerikanischen Country- und Western Music. Eine der populärsten Musikgenres in den USA und gleichzeitig die Musik der "Rednecks, der Konservativen, der christlichen Fundamentalisten, der von der Wirtschaft im Stich gelassenen Unterschicht und der vielen Fernfahrer. In den Texten wird von Liebe, Familie, Kindern, Heimweh, Fernweh und Patriotismus gesungen und gefiedelt. In Downtown Nashville befinden sich zahlreiche bekannte Musik-Clubs und Bars, in den fast immer Live Musik gespielt wird. Aus der Stadt wird auch seit 1925 die berühmte Liveshow Grand Ole Opry, das älteste noch existierende Radio-Muskprogramm in den Staaten, das lange schon auch im TV übertragen wird. Wie konservativ die Zuschauer und Zuhörer dieser Show sind und waren lässt sich am Auftritt von Elvis Presley am 2. Oktober 1954 beweisen. Ihm wurde danach von den Machern der Show dringend empfohlen die Musikkarriere zu stecken und wieder Lastwagen zu fahren.
Technisch verstärkt wird das dort ständig ablaufende"24 Stunden Rund um die Uhr Spektakel" mit eigenen Slogans und Werbeslogans. In Robert Altmans scheinbar purem Dokustreifen "Nashville" aus dem Jahr 1976 kommen noch zwei Varianten dazu: Es ist Wahljahr und der Politiker Hal Philip Walker (Thomas Hal Phillips) hat Chancen mit seinen poplulistischen Reden ins Weiße Haus zu kommen und es laufen die Vorbereitungen für Amerikas große 200 Jahr Feier.
Dort in diesem Musikmekka dreht sich alles um den Traum ganz weit nach oben zu kommen, viele junge Musiker und Bands reisen in die Stadt, weil sie wissen, dass dort das Herz und der Schmerz Amerikas musikalischen Ausdruck erhält und der Rest des Landes mit dieser Stilrichtung vollgepumpt wird. Alles ist Schein hier, man kann Plastik nicht mehr von Fleisch und Blut auseinanderhalten, weil beides bereits eine Art Symbiose gebildet hat. In der ersten Szene des Films erlebt der Zuschauer den neuen Song des Topstars Haven Hamilton (Henry Gibson) im Tonstudio. "I pray my sons won't go to war -But if they must, they must. I share our country's motto And in God I place my trust. We may have had our ups and downs Our times of trials and fears. But we must be doin' somethin' right To last 200 years." - ein Übersong für die anstehenden Feierlichkeiten. Dabei hat der populäre Toupetträger seine Karriere zu einem lukrativen Familienunternehmen gemacht, der Sohn Bud (Dave Peel) ist gleichzeitig Manager seines berühmten Daddys. Er streitet sich auch mit den zwei singenden Ladys Connie White (Karen Black) und der privat sehr zerbrechlichen und labilen Barbara Jean (Ronee Blakely) um die Krone von Nashville. Inzwischen ist auch das Wahlkampfteam von Walker eingetroffen, der mit seinem dröhnenden Lautsprecherwagen seine nichtssagenden Phrasen an den Mann bringt. Der Wahlkampfberater John Triplette (Michael Murphy) versucht den Big Star Haven als Gouverneur zu gewinnen. Triplette findet die Musik, die hier in der Stadt gemacht wird, sehr rückständig - aber das neue anspruchsvolle Folkalbum von Bill (Allan F. Nichols), Mary (Cristina Rains) und Tom (Keith Carradine) findet er sehr gut. Tom ist aber ein Frauenheld aus Passion und ruft heimlich die verheiratete Gospelsängerin Linnea Reese (Lily Tomlin) an, damit ein Date zustande kommt. Zuerst ziert sich die Frau mit ihren beiden taubstummen Kindern, doch dann kommt es doch zu einem Seitensprung. Kein Wunder, denn Tom singt auf der Bühne "I´m easy" und die Verführung klappt - ihr Mann (Ned Beatty), örtlicher Wahlhelfer für den kommenden Mann im weißen Haus, ist zu beschäftigt um überhaupt was zu bemerken. Barbara Jean indessen ist nahe dem Nervenzusammenbruch, doch sie kann ihre zahlreichen Fans wie den noch jungen Vietnam Veteranen Glenn Kelly (Scott Glen) oder Kenny Frasier (David Hayward), der auch mit seinem Geigenkasten angereist ist und bei Mr. Green (Keenan Wynn) ein Zimmer genommen hat. Der hat Besuch von seiner Nichte Martha (Shelley Duvall) aus Kalifornien bekommen, doch Tante Esther liegt im Krankenhaus - im Nachbarszimmer der kränkelnden Diva Barbara Jean, die von ihrem robusten Mann (Allan Garfield) umsorgt wird. Als eher nervig entpuppt sich die aufdringliche BBC Reporterin Opal (Geraldine Chaplin), die soviele Prominente wie möglich hier interviewen will. Davon gibts ja genug. Zu einer Party draussen kommt mal kurz Elliot Gould vorbei, im angesagten Club trifft man auf die britische Schauspielerin Julie Christie und sagt mal kurz "Hallo".  In diesem Geflecht von 24 Menschen, die sich in den gezeigten 5 Tagen in Nashville mal immer wieder über den Weg laufen, sind auch die jungen Gesangstalente Suellen Gay (Gwen Welles) und Winifred (Barbara Harris), die ihre Auftrittschance denn auch tatsächlich bekommen...





Und Letztere zeigt dabei sogar ihr Riesentalent mit der tragischen Schlußnummer "It don´t worry me" - geschrieben von Keith Carradine. Das besondere der Songs liegt auch darin, dass die meisten Schauspieler die Lieder selbst geschrieben haben und nicht nur textlich passen sie vortrefflich zum Filmgeschehen, sie lenken sogar den Fluß der Handlung und dieser scheinbar banalen Geschichten dieser zwei Dutzend Schicksale, die hier in zahlreichen Handlungssträngen chaotisch miteinander kollidieren. Doch dies scheint nur so - tatsächlich hat Altman dieses Storygeflecht sorgfältig miteinander verwoben. Politik und Unterhaltungsindustrie werden dabei ihrer Oberflächlichkeit und Unehrlichkeit völlig entlarvt. Ein Messer in die Wunde populistischer Meinungsmache sowohl im politischen Geschäft als auch in den entlarvenden Texten dieser HeileWelt Musik und machen aus dem amerikanischen Traum eine Alptraum. Für Altmans Meilenstein des Episodenfilms gabs 5 Oscar-Nominierungen, darunter die Nebendarstellerinnen Lily Tomlin und Ronee Blakely. Auch Regisseur Altman wurde nominiert und auch in der Hauptkategorie "bester Film" kam "Nashville" unter die besten Fünf. Es gab aber am Ende nur eine Auszeichnung: "I´m easy" gewann als bester Filmsong.




Bewertung: 10 von 10 Punkten.