Mittwoch, 15. November 2017

Nocturama

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Regie: Bertrand Bonello
 
Staatsfeinde im goldenen Käfig...
 
Paris, an einem Tag wie jeder andere. Der Zuschauer wird Beobachter einiger Jugendlicher, die sich in der Stadt befinden. Die Teenager sind sehr unterschiedlich, einige wie Yacine (hamza Meziani), Mika (Jamil McCraven), Omar (Rabah Nait Oufella) oder Samir (Ilias le Dore) haben Migrationshintergrund. David (Finnegan Oldfield) und Sarah (Laure Valentinelli) sind ein Pärchen, man würde sie eher dem intellektuellen Milieu zuordnen. Fred (Robin Goldbromm) arbeitet als Securitykraft. Greg (Vincent Rottiers) und Andre (Martin Guvot) haben an diesem Tag ein Bewerbungsgespräch. Sabrina (Manal Issa) ist bei der Arbeit. Auch Jean-Claude (Luis Rego) und Patricia (Hermine Karagheuz) werden bei ihren scheinbar ganz normalen Alltagsbeschäftigungen gezeigt. Die Jugendlichen kämpfen sich dabei durch das Labyrinth der Metro, laufen zielstrebig durch die Straßen der Metropole. Bald bemerkt man einen Zusammenhang bei diesen jungen Menschen, sie gehören zur gleichen Clique. Denn sie treffen sich - tauschen Blicke, aber fast keine Worte aus. In einem Straßencafe kann man dann einen Teil ihrer Unterhaltung mitverfolgen, sie sprechenüber Pinochets Putsch in Chile. Aber auch von der Bankenkrise und von der hohen Arbeitslosigkeit. Und irgendwann wird auch die Mission dieser jugendlichen Hipster immer sichtbarer. Sie sind dabei überall in Paris Sprengsätze zu verteilen. Immer wieder wird die Uhrzeit eingeblendet. Es ist deutlich spürbar, dass hier etwas unheilvolles in Gang ist und das Paris an diesem Tag ein großer Terroranschlag bevorstehen wird. Bevor die Bomben hochgehen, hat Greg die Aufgabe ein Attentat auf einen einflussreichen Wirtschaftsboss zu verüben. Dann kommt es zu mehrfachen Explosionen in der Stadt. Schnell steuern die Jugendlichen ihren abgemachten Treffpunkt an. Ein luxuriöses Kaufhaus kurz vor Ladenschluß. Dort verstecken sich die Staatsfeinde, bis die Luft rein ist. Das Sicherheitspersonal des Geschäfts wurde getötet und nun heißt es warten. Die Attentäter wissen nicht, was draußen vor sich geht und wieviel Opfer ihr Anschlag forderte und in diesem zweiten Teil des Films konfrontiert Regisseur Bertrand Bonello seine Protagonisten mit all ihren Widersprüchen, Wünschen und Ängsten...




Hier wird eine große Zerissenheit spürbar. Die jungen Leute sind nicht nur gegen die Staatsordnung, denn sie agieren auch völlig konsumfreudig in dieser abgeschirmten Welt des Luxus. Sie suchen sich schicke Anzüge in der Bekleidungsabteilung aus und stehen vor dem Ankleidespiegel. Sie machen Fotos mit ihrem Handy und drehen die Musik im leeren Kaufhaus auf. Dabei muss sich der Sound richtig fett und geil anhören, etwas was zum Tanzen geeignet ist.
Bonello wählt ein widersprüchliches Versteck für seine Jugendlichen in seinem 2016 entstandenen "Nocturama" aus. Es ist ausgerechnet ein Gebäude, dass für das steht, was sie bekämpfen und warum sie die Anschläge in der Stadt verübten. Ausserdem stecken sie einer labyrinthartigen Falle, wie sich später noch herausstellen wird. Bonello hat filmische Vorbilder. So erinnert der Anfang von "Nocturama" zum einen an Gus van Sants "Elephant" - auch dort werden Jugendliche gezeigt, die scheinbar ziellos durch das Schulgebäude laufen. Aber auch durch den Einsatz einer elektrisierenden bis pulsierenden Musik wird man an Walter Hills "Die Warriros" erinnert. Ein Film, der ab einem gewissen Zeitpunkt in einem Kaufhaus spielt, lässt natürlich sofort an George A. Romeros "Zombie" denken und tatsächlich nannte der französischen Regisseur den 1878 inszenierten Zomibie-Klassiker neben "Assault" (Handlung hinter verschlossen Türen in einem Gebäude mitten in der Stadt) als größte Inspriationsquelle für seinen virtuosen filmischen Beitrag, der dem Zuschauer allerdings jegliche spektakuläre Momente verweigert. Statdessen setzt er auch auf leise Töne. David findet eine Tür nach draußen und geht dabei das Risiko ein von der Polizei oder vom Militär kontrolliert zu werden. Er lädt ein älteres Obdachlosenpaar ins Kaufhaus ein, indem er vorgibt der Sohn des Ladenbesitzers zu sein. Er hört sich auch bei einer jungen Frau (Adele Haenel) um, die mit dem Fahrrad unterwegs ist, ob man schon weiß, wer die Anschläge verübt hat. Dann geht er wieder ins Kaufhaus. Auf den Monitoren der TV-Geräte erscheint dann die Einblendung vom Kaufhaus. Scheinbar sind sie schon umstellt und überführt. Die Stimme des TV-Sprechers spricht davon, dass es sich dabei um Staatsfeinde und nicht nur um Terroristen handelt. Um Staatsfeinde verdienen den Tod...eine Eliteeinheit hat daher nur einen Auftrag: Die Täter abzuschießen. Bonellos Ende ist dann eine einzige traurige Todesorgie. Auch wenn die Jugendlichen ihre Hände hochheben und sich ergeben. Es wird ignoriert. Sie werden wie Hasen abgeknallt.
Natürlich ist der Film auf der Höhe unserer Zeit und bündelt Angst, Wahnsinn und Hysterie, wie wir sie alltäglich wahrnehmen. Erklärungen gibt es keine, die eine dahintersteckende Ideologie erklären würden. Zwar ein Kommentar zum Thema Terrorismus, aber ohne die üblichen einfachen Antworten. Eher dem Zwiespalt, der Widersprüchlichkeit und der Irritation verpflichtet. "Nocturama" zeigt aber vor allem die Verrücktheit unserer Zeit. Das schlimme daran ist, dass eine gewisse Todessehnsucht präsent ist. Ein wichtiger Film, der interessante Fragen aufwirft.





Bewertung: 8,5 von 10 Punkten.

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