Regie: Bertrand Bonello
Staatsfeinde im goldenen Käfig...
Paris, an einem Tag wie jeder andere. Der Zuschauer wird Beobachter
einiger Jugendlicher, die sich in der Stadt befinden. Die Teenager sind
sehr unterschiedlich, einige wie Yacine (hamza Meziani), Mika (Jamil
McCraven), Omar (Rabah Nait Oufella) oder Samir (Ilias le Dore) haben
Migrationshintergrund. David (Finnegan Oldfield) und Sarah (Laure
Valentinelli) sind ein Pärchen, man würde sie eher dem intellektuellen
Milieu zuordnen. Fred (Robin Goldbromm) arbeitet als Securitykraft. Greg
(Vincent Rottiers) und Andre (Martin Guvot) haben an diesem Tag ein
Bewerbungsgespräch. Sabrina (Manal Issa) ist bei der Arbeit. Auch
Jean-Claude (Luis Rego) und Patricia (Hermine Karagheuz) werden bei
ihren scheinbar ganz normalen Alltagsbeschäftigungen gezeigt. Die
Jugendlichen kämpfen sich dabei durch das Labyrinth der Metro, laufen
zielstrebig durch die Straßen der Metropole. Bald bemerkt man einen
Zusammenhang bei diesen jungen Menschen, sie gehören zur gleichen
Clique. Denn sie treffen sich - tauschen Blicke, aber fast keine Worte
aus. In einem Straßencafe kann man dann einen Teil ihrer Unterhaltung
mitverfolgen, sie sprechenüber Pinochets Putsch in Chile. Aber auch von
der Bankenkrise und von der hohen Arbeitslosigkeit. Und irgendwann wird
auch die Mission dieser jugendlichen Hipster immer sichtbarer. Sie sind
dabei überall in Paris Sprengsätze zu verteilen. Immer wieder wird die
Uhrzeit eingeblendet. Es ist deutlich spürbar, dass hier etwas
unheilvolles in Gang ist und das Paris an diesem Tag ein großer
Terroranschlag bevorstehen wird. Bevor die Bomben hochgehen, hat Greg
die Aufgabe ein Attentat auf einen einflussreichen Wirtschaftsboss zu
verüben. Dann kommt es zu mehrfachen Explosionen in der Stadt. Schnell
steuern die Jugendlichen ihren abgemachten Treffpunkt an. Ein luxuriöses
Kaufhaus kurz vor Ladenschluß. Dort verstecken sich die Staatsfeinde,
bis die Luft rein ist. Das Sicherheitspersonal des Geschäfts wurde
getötet und nun heißt es warten. Die Attentäter wissen nicht, was
draußen vor sich geht und wieviel Opfer ihr Anschlag forderte und in
diesem zweiten Teil des Films konfrontiert Regisseur Bertrand Bonello
seine Protagonisten mit all ihren Widersprüchen, Wünschen und Ängsten...
Hier wird eine große Zerissenheit spürbar. Die jungen Leute sind
nicht nur gegen die Staatsordnung, denn sie agieren auch völlig
konsumfreudig in dieser abgeschirmten Welt des Luxus. Sie suchen sich
schicke Anzüge in der Bekleidungsabteilung aus und stehen vor dem
Ankleidespiegel. Sie machen Fotos mit ihrem Handy und drehen die Musik
im leeren Kaufhaus auf. Dabei muss sich der Sound richtig fett und geil
anhören, etwas was zum Tanzen geeignet ist.
Bonello wählt ein widersprüchliches Versteck für seine Jugendlichen
in seinem 2016 entstandenen "Nocturama" aus. Es ist ausgerechnet ein
Gebäude, dass für das steht, was sie bekämpfen und warum sie die
Anschläge in der Stadt verübten. Ausserdem stecken sie einer
labyrinthartigen Falle, wie sich später noch herausstellen wird. Bonello
hat filmische Vorbilder. So erinnert der Anfang von "Nocturama" zum
einen an Gus van Sants "Elephant" - auch dort werden Jugendliche
gezeigt, die scheinbar ziellos durch das Schulgebäude laufen. Aber auch
durch den Einsatz einer elektrisierenden bis pulsierenden Musik wird man
an Walter Hills "Die Warriros" erinnert. Ein Film, der ab einem
gewissen Zeitpunkt in einem Kaufhaus spielt, lässt natürlich sofort an
George A. Romeros "Zombie" denken und tatsächlich nannte der
französischen Regisseur den 1878 inszenierten Zomibie-Klassiker neben
"Assault" (Handlung hinter verschlossen Türen in einem Gebäude mitten in
der Stadt) als größte Inspriationsquelle für seinen virtuosen
filmischen Beitrag, der dem Zuschauer allerdings jegliche spektakuläre
Momente verweigert. Statdessen setzt er auch auf leise Töne. David
findet eine Tür nach draußen und geht dabei das Risiko ein von der
Polizei oder vom Militär kontrolliert zu werden. Er lädt ein älteres
Obdachlosenpaar ins Kaufhaus ein, indem er vorgibt der Sohn des
Ladenbesitzers zu sein. Er hört sich auch bei einer jungen Frau (Adele
Haenel) um, die mit dem Fahrrad unterwegs ist, ob man schon weiß, wer
die Anschläge verübt hat. Dann geht er wieder ins Kaufhaus. Auf den
Monitoren der TV-Geräte erscheint dann die Einblendung vom Kaufhaus.
Scheinbar sind sie schon umstellt und überführt. Die Stimme des
TV-Sprechers spricht davon, dass es sich dabei um Staatsfeinde und nicht
nur um Terroristen handelt. Um Staatsfeinde verdienen den Tod...eine
Eliteeinheit hat daher nur einen Auftrag: Die Täter abzuschießen.
Bonellos Ende ist dann eine einzige traurige Todesorgie. Auch wenn die
Jugendlichen ihre Hände hochheben und sich ergeben. Es wird ignoriert.
Sie werden wie Hasen abgeknallt.
Natürlich ist der Film auf der Höhe unserer Zeit und bündelt Angst,
Wahnsinn und Hysterie, wie wir sie alltäglich wahrnehmen. Erklärungen
gibt es keine, die eine dahintersteckende Ideologie erklären würden.
Zwar ein Kommentar zum Thema Terrorismus, aber ohne die üblichen
einfachen Antworten. Eher dem Zwiespalt, der Widersprüchlichkeit und der
Irritation verpflichtet. "Nocturama" zeigt aber vor allem die
Verrücktheit unserer Zeit. Das schlimme daran ist, dass eine gewisse
Todessehnsucht präsent ist. Ein wichtiger Film, der interessante Fragen aufwirft.
Bewertung: 8,5 von 10 Punkten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen