Regie: Xavier Dolan
Ein Fremder kehrt heim...
Neben Paul Verhoeven gehörte auch der kanadische Regisseur Xavier
Dolan zu den Verlierern in der Oscar-Kategorie "Bester fremdsprachiger
Film. Auch seinem Filmdrama "Einfach das Ende der Welt" gelang es nicht
unter die besten fünf Nominierten zu kommen. Schon bei der Urauffürhung
bei den Filmfestspielen in Cannes waren die Kritiken für seine
Familiengeschichte eher verhalten, obwohl er am Ende mit dem Großen
Preis der Jury ausgezeichnet wurde. Aber immerhin gewann "Einfach das
Ende der Welt" insgesamt 3 Cesars ins diesem Jahr. Neben Dolan selbst
siegte auch Hauptdarsteller Gaspard Ulliel (bekannt aus "Hannibal
Rising) und als bester ausländischer Film war man auch siegreich.
Michs selbst hat der Film thematisch und im Aufbau stark an "Lügen
und Geheimnisse" von Mike Leigh erinnert, dem es auch meisterhaft gelang
den Zuschauer Schritt für Schritt und meisterhaft in die Gefühlswelt
und Abgründe einer scheinbar ganz normalen Familie eintauchen zu lassen.
Der Film basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Jean Luc
Lagarce und die Herkunft sieht man dem Film schon ein bisschen an. Am
Anfang läuft im Hintergrund der Song "Home is where its hurts" und die
Familie wartet auf den verlorenen Sohn sozusagen. Denn Louis (Gaspard
Ulliel) kommt nach langer Zeit zu Besuch. Der inzwischen 34jährige hat
die Familie schon 12 Jahre nicht mehr gesehen, aber immerhin zu jedem
Geburtstag und zu den Feiertagen kamen stets Postkarten. Nur der
Zuschauer weiß, warum er nach sovielen Jahren ins Heim seiner Lieben
zurückkehrt...er ist totkrank und möchte der Familie mitteilen, dass er
sterben wird.
Er weiß auch, dass es wieder Konflikte geben wird. Die Mutter
(Natalie Baye), sein großer Bruder Antoine (Vincent Cassel) mit dessen
Ehefrau Catherine (Marion Cottilard), die er noch nie gesehen hat und
die kleine Schwester Suzanne (Lea Seydoux) warten gespannt auf sein
Kommen und sind dementsprechend aufgeregt. Dann fährt das Taxi vor dem
Haus vor und es ist für alle eine ganz eigenartige Situation, dieses
Wiedersehen. Louis ist inzwischen als Schriftsteller bekannt und die
Familie verfolgt seinen Werdegang aus den Medien. Aber ansonsten sind
sie sich fremd....auch das schwule Leben von Louis ist fremd und
unbekannt. Sofort bekommen die Gespräche seitens der Familie einen etwas
aggressiven, vorwurfsvollen Touch...vor allem von Vincent und auch
Suzanne lässt durchblicken, dass der Bruder wie ein Fremder wirkt.
Belanglosigkeiten werden ausgetauscht, dann aber geht es immer mehr ums
Eingemachte und die Besuchssituation droht mehrmals zu eskalieren. Am
Ende steht die Erkenntnis einer zu großen Distanz nach diesen 12 Jahren
Abwesenheit, man hat sich auseinander gelebt...
Xavier Dolans Film ist von einem guten Anteil Melancholie
durchzogen. Er zeigt Menschen, die mit der Situation nur schwer umgehen
können und gar nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. So wird der
geplante Abschied für immer irgendwann auch in den Hintergrund gedrängt,
denn Louis selbst erkennt, dass es noch viel wichtigeres im
Familienkreis zu klären gibt, als seine Nachricht, dass er bald sterben
wird.
Der Autor Lagarce verarbeitete in seinem Stück seine HIV-Infektion,
die er nicht besiegen konnte. Er verstarb im Jahr 1995, noch bevor das
Stück in Frankreich richtig bekannt wurde. Während der Krankheit in
Berlin verfasst, enthält es natürlich autobiographische Züge, diese
Geschichte über eine Familie, die sich richtig fremd ist. Natürlich
lässt sich die gestörte Familienstruktur nicht auflösen, man bleibt sich
weiterhin fremd, lässt aber einen kleinen Hoffnungsschimmer auch nicht
ganz sterben. Natürlich wird nicht jedermann den Kriegsschauplatz
Familie, den Xavier Dolan hier beschreibt, als spannend und interessant
finden. Daher vielleicht auch die unterschiedlichen Urteile zu diesem
Film, der aber mit einer grandiosen Ensembleleistung aufwartet. Jeder
der fünf Darsteller liefert eine Topleistung in Sachen Schauspielkunst
ab. Für mich ist "Einfach das Ende der Welt" sogar einer der bisher
besten Filme des kanadischen Regisseurs.
Bewertung: 8 von 10 Punkten.
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