Dienstag, 25. Juni 2024

Zama


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Regie: Lucrecia Martel

Warten auf Versetzung...

Bei der "Sight and Sound" Umfrage im Jahr 2022 landete der argentinische Historienfilm "Zama" von Lucrecia Martel auf einem hervorragenden 196sten Rang. Der Film entstand nach der gleichnamigen Novelle von Antonio di Bendetto und war gleichzeitig der argentinische Beitrag für die 90. Academy Award Verleihung, konnte sich jedoch nicht unter die fünf Nominierungen platzieren.
Im späten 18. Jahrhundert ist Don Diego de Zama (Daniel Gimenez Cacho) Richter in einem abgelegenen Außenposten in Argentinien. Seine Frau und seine Kinder sind weit weg und er sehnt sich danach, einen Posten in Lerma zu bekommen, eine Veränderung, die seiner Meinung nach unmittelbar bevorsteht. In der Stadt kursieren Gerüchte über die Heldentaten von Vicuña Porto (Matheus Nachtergaele), einem Mann, der nach Belieben raubt und vergewaltigt und den andere immer wieder getroffen, bekämpft und besiegt haben wollen. Zama interessiert sich nicht für den Klatsch und verbringt seine Zeit damit, die reiche, verheiratete spanische Adlige Luciana Piñares de Luenga (Lola Duenas) zu verführen, die ihn jedoch abweist. Bei der Arbeit gerät er in Konflikt mit einem stellvertretenden Richter, Ventura Prieto (Juan Minujin), als dieser Einwände gegen die Versklavung der Ureinwohner erhebt. Der Konflikt wird durch die Entdeckung verschärft, dass Prieto bei Luciana mehr Erfolg hatte als er. Nachdem es zwischen den beiden zu Handgreiflichkeiten kommt, deportiert der Gouverneur den Juniorbeamten – nach Lerma. Zama erfährt, dass der Gouverneur, der versprochen hatte, seine Versetzung zu empfehlen, auf Befehl des spanischen Königs selbst versetzt wird. Zama ist untröstlich, weil er nicht versetzt wurde, und gerät mit dem neuen Gouverneur in Konflikt, als dieser erfährt, dass einer der Angestellten, den Zama lieber beschützen würde, während der Arbeit ein Buch schreibt. Der Gouverneur befiehlt Zama, das Buch zu lesen und einen vollständigen Bericht zu verfassen. Widerstrebend stimmt Zama zu. Nachdem er einen vernichtenden Bericht geschrieben hat, stimmt der Gouverneur zu, ein erstes Empfehlungsschreiben zu verfassen, aus dem hervorgeht, dass der König erste Bitten immer ignoriert und eine zweite Bitte noch 1–2 Jahre benötigt, um den König direkt zu erreichen. Besiegt lässt sich Zama einen Bart wachsen und stimmt zu, sich einer Gruppe von Männern anzuschließen, die Vicuña Porto jagen und töten wollen. Mitten in der Nacht wacht Zama auf und stellt fest, dass die Pferde gestohlen werden, und unterhält sich mit einem der Männer aus seiner Gruppe, der sich ihm als Vicuña Porto vorstellt - er soll es aber geheim halten, dann würde er überleben. Später werden die Männer von einem indigenen Stamm gefangen genommen, der sie schließlich freilässt. Die zerzausten Überlebenden nähern sich ihrer Heimat, doch der Kapitän sagt Zama, dass sie ohne Vicuña Porto nicht zurückkehren können, woraufhin Zama Vicuña Portos Identität preisgibt. Porto behält jedoch die Loyalität des Rests der Gruppe und seine Männer fesseln Zama und den Kapitän. Die Männer töten den Kapitän und lassen Zama am Leben, da sie glauben, dass er Informationen über versteckte Juwelen hat, die sich in Muscheln befinden und sie reich machen werden.  Als Zama ihnen sagt, dass es keine solchen Reichtümer gibt, schneiden sie ihm die Hände ab. Zama schafft es zu überleben, doch seine Zukunft ist ungewiss, als er ohne Hände auf einem Floß aufwacht, nachdem er von einem indigenen Mann und einem Kind gerettet wurde....










Es gibt eine gewisse Ähnlichkeit mit Werner Herzogs hervorragendem Dschungelepos "Aguirre, der Zorn Gottes", auch dort treibt am Ende die Hauptfigur ziellos im Wasser. Beide Filme sind somit inspiriert vom "Herz der Finsterniss" des Autors Joseph Conrad, dessen Held ebenfalls im Delirium endet. Tatsächlich ist der Film etwas verwirrend konzipiert, aber dennoch ist die Faszination stets auch greifbar.





Bewertung: 8 von 10 Punkten. 

Jeanne Dielman (Jeanne Dielman, 23 quai du Commerce, 1080 Bruxelles)


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Regie: Chantal Akerman

Brüchige Routine...

Bei der jüngster "Sight and Sound" Umfrage über die besten Filme aller Zeiten kam es zu einer echten Überraschung, denn der 1975 von Chantal Akerman wurde auf Platz 1 gewählt und verwies die ultmativen Klassiker wie "Vertigo", "Citizen Kane", "2001" oder "Die Reise nach Toyko" auf die Plätze. Sicherlich wurde bei dieser aktuellen Umfrage sehr stark Wert darauf gelegt, dass auch weibliche Regisseure besonders beachtet werden sollen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in den Top 100 auch Filme wie "Beau Travail" von Claire Denis, "Das Piano" von Jane Campion, "Cleo" von Agnes Varda, "Portrait of a Lady in Fire" von Celine Sciamma sehr gut abschnitten.
Die belgische Filmemacherin Chantal Akerman drehte ihr Meisterwerk "Jeanne Dielman, 23 quai du Commerce, 1080 Bruxelles" im Jahr 1975, das auf dem Filmfestival in Faro einen Preis als bester Film gewann und auch die Hauptdarstellerin Delphine Seyrig (Der diskrete Charme der Bourgeousie, Blut an den Lippen) durfte damals den Publikumspreis entgeben nehmen.
Der Film dauert 201 Minuten und in dieser Zeit wird der triste und eintönige Tagesablauf einer Frau aus Brüssel gezeigt. Jeanne Dielman (Delphine Seyrig) ist noch jung, aber bereits Witwe und hat einen 16jährigen Sohn namens Sylvain (Jean Decorte). Ihr Tagesablauf ist eine gleichbleibende Routine aus wiederholenden Aufgaben. Sie bereitet am Morgen das Frühstück für ihren Sohn zu. Er isst, sie trinkt Kaffee mit ihm. Viel Kommunikation gibt es nicht. Er geht aus dem Haus, sie macht sein Bett, dass dann wieder als Couch fungiert. Dann geht sie einkaufen, macht diverse Erledigungen und bereitet das Abendessen vor: Gemüse schälen, Fleisch zubereiten, Geschirr spülen. Einmal am Tag kommt eine Nachbarin vorbei und gibt ihr Baby bei Jeanne ab, die dann für kurze Zeit auf das Kind aufpasst. Am Nachmittag klingelt es auch öfters an der Haustür, denn die Hausfrau empfängt regelmässig großzügige Herren und bessert durch die Prostitution ihre Haushaltskasse auf.
Dieser strenge Ablauf wird beinahe schon in Echtzeit gezeigt -  drei Tage lang kocht und putzt und sie zeigt selten eine Gefühlsregung. Doch durch diese präzise Sicht entdeckt der Zuschauer Risse in der Routine, denn die perfekt kontrollierte Frau, die völlig fremdbestimmt und isoliert lebt, wirkt zunehmend angespannter. Winzige Zuckungen der Gesichtsmuskel weisen darauf hin, auch das Misslingen des Essens am Beispiel von verkochten Kartoffeln gewinnen Bedeutung. Man gewinnt zunehmend das Gefühl, dass diese Alltagsgeschichte in einer echten Katastrophe enden wird. Und so ist es auch. Am Ende des dritten Tages, nachdem sie erneut einen iihrer Stammkunden bedient hat, ersticht sie diesen ungerührt mit einer Schere. Dann sitzt sie ruhig in ihrem verdunkelten Esszimmer und wartet vermutlich auf die Heimkehr ihres Sohnes...









Bei der enorm langen Laufzeit fragt man sich vielleicht, ob tatsächlich soviel Laufzeit erforderlich war, um das ganze Ausmaß dieses menschlichen Schicksals aufzuzeigen. Denn dies macht den Film natürlich anstrengend, für eine kommerzielle Auswertung kommt er auch heute nicht in Frage. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es bis heute keine deutschsprachige DVD Ausgabe gibt. Langweilig ist der Film nicht, wenn man sich auf die Thematik einlässt und die ästhetische Strenge als interessantes Stilmittel ansieht. Eine konventionelle Dramaturgie hätte dem Film vermutlich die Originalität und Einzigartigkeit genommen. Sicherlich ist der Spitzenplatz in der Liste der besten Filme etwas hochgegriffen, aber sehenswert ist "Jeanne Dielman" jede Minute. Das minimalistische Meisterwerk gilt als das Schlüsselwerk des feministischen Filmschaffens.





Bewertung: 8,5 von 10 Punkten
 

Hester Street


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Regie: Joan Micklin Silver

Neue Heimat New York...

Joan Micklin Silver wurde als Tochter jüdischer Russen geboren und wuchs in Omaha auf. In den 70er Jahren war sie eine der wenigen weiblichen Regisseurinnen, die eine internationale Bekanntheit erlangen konnten. Ihr 1975 entstandener Schwarz-weiß Film "Hester Street" wurde dank der überragenden Darstellung von Carol Kane auch von der Academy gelobt. Carol Kane erhielt für die Rolle als Gitl eine Nominierung als beste Schauspielerin. "Hester Street" ist ein Film über die jüdische Auswanderung und über das Leben dieser Emmigranten im jiddischen Ghetto von New York, des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Es ist das Jahr 1896 und die Hester Street in der jüdischen Gemeinde der Lower East Side ist das Herzstück des jüdischen Lebens. Die meisten Neubürger stammen aus Osteuropa und wollen in der neuen Welt ein besseres Leben beginnen. Dieses Ziel verfolgt auch Yankel Podkovnik (Steven Keats), der darauf besteht "Jack" genannt zu werden. Er möchte Amerikaner sein. Jack ist ein Schürzenjäger und hat seit drei Jahren eine Unterkunft bei einer älteren Frau. Er verbringt die Nächte auf der Couch in ihrer kleinen Wohnung. Nachdem er den ganzen Tag für einige mickrige Dollar in einem Nähladen für Kleider geschuftet hat, besucht Jake eine Tanzschule, wo er alles über die amerikanische Kultur lernen will. Er und seine Freunde machen sich einen Spaß daraus, Neuankömmlinge von Übersee zu verspotten. Wie diverse andere Männer zieht es Jake zu der feurigen Mamie Fein (Dorrie Kavanaugh), einer attraktiven Polin, die mit 16 nach New York kam, sich in sieben Jahren erfolgreich assimiliert und obendrein mit ihrem bescheidenen Einkommen ein kleines Vermögen zusammengespart hat. Nachdem Jakes Vater gestorben ist, will Jake endlich seine eigene Wohnung beziehen und bittet daher Mamie um 25 Dollar für den Kauf von Möbeln. Mamie, die in ihrer Naivität glaubt, dass Jake nun endlich sesshaft werden und eine Familie gründen will, ist gern bereit, ihm das Geld zu leihen. Inständig hofft sie auf einen bald darauf folgenden Heiratsantrag. Obwohl Jake erkennt, dass sie seinen Geldwunsch missinterpretiert, lässt er Mamie in ihrem Glauben. Niemand weiß, dass Jakes Frau Gitl (Carol Kane) und beider Kind auf dem Weg vom Osten Europas nach Amerika sind.
Kaum dort angekommen, wird aus Jakes kleinem Sohn Yossele (Paul Freedman) der Neu-Amerikaner Joey. Jake schneidet ihm die verräterischen langen Locken ab,damit nichts mehr an ihm wie ein osteuropäischer Jude aussieht. Stolz präsentiert Jakes seinen Nachbarn den "Yankee“ Joey. Doch seine Frau Gitl ist ein deutlich schwererer Fall. Sie ist fromm, bescheiden, schüchtern und sie möchte keineswegs mit den alten Traditionen brechen. Sie freundet sich mit dem Gelehrten Mr. Bernstein (Mel Howard) an...






"Hester Street" ist ein kleiner feiner Stimmungsfilm mit einer sehr geglückten Atmosphäre. Nichts weltbewegendes, aber durchweg sympathisch. Die Zeit wurde sehr behutsam und authenisch in Szene gesetzt. Ein sehr schöner Film über einfache Menschen, die in einer neuen Heimat, einer neuen Umgebung ihren Platz suchen





Bewertung: 8 von 10 Punkten. 

Alice lebt nicht mehr hier


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Regie: Martin Scorsese

Auf dem Weg nach Monterey...

Der 1974 gedrehte Tragikomödie "Alice lebt nicht mehr hier" spielte bei seinem Erscheinen ca. 19 Millionen Dollar in den US-Kinos ein und bescherte seiner Hauptdarstellerin Ellen Burstyn einen überraschenden Oscarerfolg als beste Schauspielerin. Sie setzte sich in der Rolle der verwitweten und alleinerziehenden Mutter Alice Hyatt gegen die Favoritin Faye Dunaway durch, die in der Rolle der Evelyn Mulwray in "Chinatown" ebenfalls nominiert war.
Durch diesen Film erfolgte auch der Durchbruch von Regisseur Martin Scorsese, der kurz zuvor mit "Hexenkessel" erstmalig auch internationale Beachtung fand und der durch den Erfolg seines feministischen Films sein ehrgeiziges Projekt "Taxi Driver" realsieren konnte, mit dem er zu einem der wichtigsten Regisseure des jungen Hollywood aufsteigen konnte.
In Sorcco, New Mexico, lebt Alice Hyatt (Ellen Burstyn) mit ihrem aufgeweckten Sohn Tommy (Alfred Lutter) und ihrem zweitem Ehemann Donald (Billy Green Bush) zusammen. Tommy stammt vom ersten verstorbenen Ehemann. Alice ist ehemalige Sängerin. Als Donald, der als Coca-Cola Lieferfahrer bei der Arbeit durch einen Unfall ums Leben kommt, ist Alice ein zweites Mal zur Witwe geworden und muss den Großteil ihres Besitzes verkaufen. Sie möchte mit Tommy in ihrem Elternhaus in Monterey, Kalifornien noch einmal neu anfangen und auch ihre Gesangskarriere fortsetzen.
Ihre finanzielle Situation zwingt sie, vorübergehend in Phoenix, Arizona, unterzukommen, wo sie Arbeit als Lounge-Sängerin findet. Sie lernt Ben (Harvey Keitel) kennen, einen jüngeren, scheinbar unverheirateten Mann, der sie zu einer sexuellen Beziehung verleitet, die jedoch plötzlich endet, als seine Frau Rita (Lane Bradbury) Alice zur Rede stellt. Ben bricht in Alices Wohnung ein, während Rita dort ist, und greift Rita vor Alices Augen körperlich an. Er bedroht auch Alice und verwüstet ihre Wohnung. Aus Angst um ihre Sicherheit verlassen Alice und Tommy schnell die Stadt. Nachdem sie den Großteil ihres wenigen Geldes für ihre Flucht ausgegeben hat, nimmt Alice einen Job als Kellnerin in Tucson, Arizona, in einem örtlichen Diner an, das Mel(Vic Tayback) gehört. Dort freundet sie sich mit ihren Kolleginnen an – der unabhängigen, sachlichen, freimütigen Flo (Diane Ladd), die ein loses Mundwerk hat und der ruhigen, schüchternen, inkompetenten Vera (Valerie Curtin) an – und lernt den geschiedenen Rancher David (Kris Kristofferson) kennen. David verliebt sich schnell in Alice, die davor zurückschreckt, eine neue Beziehung einzugehen. Ihre Beziehung wird bedroht, als David körperliche Gewalt anwendet, um Tommy zu disziplinieren. Obwohl Alice immer noch davon träumt, nach Monterey zu gehen, versöhnen sie sich. David bietet an, seine Ranch zu verkaufen und nach Monterey zu ziehen, aber am Ende beschließt Alice, mit ihm in Tucson zu bleiben...







Ellen Burstyn war noch mitten in den Dreharbeiten zu "Der Exorzist" , als die Verantwortlichen von Warner Bros. Interesse bekundeten, mit ihr an einem anderen Projekt zu arbeiten. Burstyn erinnert sich: „Es war die Anfangsphase der Frauenbewegung, und wir waren alle gerade dabei aufzuwachen und uns unser Leben anzuschauen und wollten, dass es anders wird. Ich wollte einen anderen Film machen. Einen Film aus der Sicht einer Frau, aber einer Frau, die ich wiedererkannte, die ich kannte. Und nicht nur mich selbst, sondern auch meine Freundinnen, was wir alle zu der Zeit durchmachten. Also fand mein Agent "Alice lebt hier nicht mehr". Als ich das Skript las, gefiel er mir sehr. Die erste Szene mit Alice Hyatt als Kind, gespielt von Mia Bendixen, ist eine Hommage an den Kultfilm "The Wizard of Oz". Ebenfalls oscarnominiert wurde Diane Ladd als beste nebendarstellerin und Drehbuchautor Robert Getchell.








Bewertung: 8 von 10 Punkten.