Regie: Xavier Dolan
Mutter und Sohn....
In Xavier Dolans beeindruckendem 2013er
Thriller "Sag nicht wer du bist" ging es um die Lust der sexuellen
Unterwerfung und auch sein neuestes Werk "Mommy" ist ein völlig
ungewöhnlicher Filmbeitrag. Das dramaturgisch bewusst ausgewählte
Bildformat von 1:1, das noch schmaler erscheint als unser altes 4.3
Fernsehbild, ist für den Zuschauer mit Breitwandwunsch zuerst mal
äusserst irritierend und engt auch die Protagonisten der Geschichte
förmlich ein. Immer wieder falllen große Teile aus dem Bild heraus,
finden praktisch im schwarzen Bereich links und rechts vom Sichtbaren
statt. Dieser künstlerische Kniff mag nicht jedem gefallen, aber es
unterstreicht doch die im Film vorherrschende Stimmung und soll so auch
zeigen, dass Steves Wutanfälle extrem unkontrollierbar und unmittelbar
daher kommen, man soll sozusagen spüren, wie er gegen jede Art von
Einengungen zum Rebell wird und auf die Barrikaden steigt. Erst in der
Mitte des Films - eine Szene mit dem Einkaufswagen auf belebter Straße -
öffnet sich das Bild zum Breitwandepos und die drei Figuren des Films
genießen in dieser Einstellung die Freiheit, selbstverständllich nur
eine Momentaufnahme. Einige Szenen später ist der Blickwinkel wieder
weit weniger offen. Trotzt seiner beinahe 140 Minuten Laufzeit ist der
Film zu keiner Zeit langweilig, im Gegenteil: Xavier Dolans Drama hat
eine gewisse Sogwirkung und zieht den Zuschauer immer weiter sehr
gebannt in die Seelenwelt von Steve, seiner Mommy und der sonderbaren
Nachbarin, der irgendwann dann auch eine Schlüsselrolle zuteil wird. Um
begeistert zu sein, muss man sich aber auf die triste Grundstimmung der
Geschichte einlassen können. Es gibt zwar reichlich komische Momente,
aber die Protagonisten sind von Entspannung immer weit entfernt.
Diane
(Anne Dorval) ist mit ihren 47 Jahren leider schon Witwe und nach dem
Tod ihres Mannes und Kindesvaters alleinerziehende Mutter eines
außergewöhnlichen Jungen. Steve (Antoine-Olivier Pilon), ist schwer
krank. Seit dem Tod des Vaters leidet der Junge an einer affektiven
Störung, ,die Diagnose ADHS lässt ihn scheinbar nie zur Ruhe kommen. Der
Regisseur setzt die Handlung in einem fiktiven Kanada an, in dem von
der neuen Regierung ein Gesetz erlassen wurde, das es Eltern ermöglicht,
ausnehmend verhaltensgestörte Kinder der Obhut von Krankenhäusern zu
überlassen. Eine Option, die für die lebenslustige Diane allerdings
nicht in Frage kommt. Auch wenn sie sich ohne Beruf finanziell schwer
tut für sich und den Jungen zu sorgen. Nach einem erneuten Zwischenfall
in einem Jugendheim entschließt sie sich Steve wieder bei sich
aufzunehmen. Sie liebt ihren Sohn und Steve liebt seine Mom. Es
passieren aber sehr schnell immer wieder problematische Zwischenfälle,
wenn Steve sich aufregt - und das passiert oft - dann weiß er nicht mehr
was er tut und es kann zu unschönen Handgreiflicheiten kommen. So laut,
dass die Nachbarin Kyla (Suzanne Clement) als rettender Engel
einschreiten muss. Die Frau ist offensichtlich traumatisiert, wirkt
zerbrechlich und bringt kaum ein Wort über ihre Lippen. Da sie Lehrerin
war und nun - wie sie sagt - ein Sabbatjahr eingelegt hat, ist sie es
die Steve bald Nachhifle gibt, damit der Schulabschluß in Angriff
genommen werden kann. Eine Zeitlang - so scheint es - gelingt vor allem
durch die Hilfe von Kyla die schwiierige Balance in der Mutter-Sohn
Beziehung, doch gibt dies auch tatsächlich Hoffnung auf eine glückliche
Zukunft ?Natürlich kann so ein Film nur dann funktionieren, wenn die Schauspieler alles geben und tatsächlich sieht man nur noch selten ein so derart intensives Spiel wie Antoine Olivier-Pinon und Filmmutter Anne Dorval, die mit ihrer grandiosen Vorstellung sehr stark an die brillianten Darbietungen einer Gena Rowlands, die in den Werken ihres Ehemannes John Cassavettes wie "Die erste Vorstellung" oder "Eine Frau unter Einfluß" Höchstleistungen darbot. Die Leistung von Anne Dorval ist da nahe dran. Eine etwas vulgäre Frau, die sie da zu spielen hat. Sie raucht wie ein Schlot, säuft auch manchmal zuviel und hat ständig eine patzige Antwort auf Lager. Im Grunde ist die vorlaute, aber auch sehr verletzliche Witwe genauso wie ihr Sprößling auf Kollisonskurs mit der Umwelt, was gleich in der ersten Szene zum Tragen kommt, als sie einen Unfall baut auf der Fahrt zur Anstalt ihren hyperaktiven Steve abzuholen. Die beiden leben dann für eine Zeitlang mit einer Heftigkeit, die sich wie in einem Rausch vollzieht. Untermalt sind die Szenen mit einem guten Soundtrack von Oasis, Lana del Rey bis Dido. Zwei der Songs "On ne change pas" von Celine Dion und "Vivo per lei" von Andrea Bocelli sind von Xavier Dolan sogar dramaturgisch perfekt in die Geschichte eingebaut worden. Durch einen realistisch vernünftigen Verrat hat die Anarchie ein Ende und spätestens hier wird klar, dass "Momny" ohne Zweifel in seiner Sparte ein echtes Meisterwerk darstellt.
Bewertung: 8,5 von 10 Punkten.
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