Regie: Werner Herzog
Der Findling Kaspar Hauser...
"Jeder für sich und Gott gegen alle" ist ein Film von Werner
Herzog aus dem Jahr 1974 über den Findling Kaspar Hauser, der in der
Biedermeierzeit nicht nur in Nürnberg, sondern in ganz Europa für Furore
sorgte. Der etwas 16jährige Jugendliche wirkte geistig anscheinend
zurückgeblieben und redete nur einige Worte, als er plötzlich verloren
auf dem Unschlittpaltz stand. Im Film wird Kaspar Hauser von Bruno S.
gespielt, der zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 42 Jahre alt war. Dennoch
überzeugt der Schauspieler von der ersten Sekunde an, wo der Zuschauer
in einem düsteren Verlies sieht. Er spielt gerade mit einem Holzpferd
und wird von einem unbekannten Mann (Hans Musäus) besucht, der ihm
einige Worte lehrt und ihm schließlich auch seine Freiheit gibt. Das
Laufen fällt dem Gefangenen sichtlich schwer, so dass dieser Unbekannte
ihm behilflich ist, bis die Stadt erreicht wird.
Ein Ehepaar sieht vom Fenster aus diesen verloren wirkenden
Menschen. Der Mann geht zu ihm hinunter und fragt ihn, ob man ihm
behilflich sein könnte. Kaspar Hauser drückt ihm einen Brief an einen
Kavallerieoffizier (Henry van Lyck) in die Hand. Dort steht geschrieben,
dass der seltsame Findling der Obhut des Offiziers empfohlen wird. Der
ist ratlos, wie auch alle Bewohner der Stadt. Aber alle wollen den
Fremden sehen. Im Staatsgefängnis findet er eine Herberge und wird
verpflegt. Mühsam lernt man ihm auch die Sprache. Er wird untersucht von
Professoren (u.a. Alfred Edel), der Pastor (Enno Patalas) hat Fragen
und der Stadtschreiber (Clemens Scheitz) bemüht sich alles in einem
Protokoll festzuhalten. Da die Verköstigung der Stadt Kosten verursacht,
muss sich Kaspar Hauser in einem Circus als Kuriosität präsentieren.
Der Zirkusdirektor (Willy Semmelrogge) hat auch mit dem jungen Mozart
(Andy Gottwald) , dem kleinen König (Helmut Döring) und dem Artisten
Hombrecito (Kidlat Tahimik) noch weitere Zugpferde, die von der Menge
neugierig begafft werden. Dann nimmt ihn aber der verständnisvolle
Professor Georg Friedrich Daumer (Walter Ladengast) bei sich auf. Dort
wird er freundlich behandelt und Frau Käthe (Brigitte Mira), die
Haushälterin des Professors, pflegt ihn aufopfernd und liebevoll. Er
lernt in dieser Zeit Sprechen, Lesen und Schreiben. Doch das Geheimnis
seiner Herkunft bleibt weiterhin im Dunkel. Dann wird ein Attentat auf
Kaspar verübt, doch die Verletzung sind nicht allzu groß. Dieses
Ereignis macht ihn aber bekannter und der englische Globetrotter Lord
Stanhope (Michael Kroecher) will ihn sogar adoptieren. Als Kasper jedoch
bei einem Empfang für einen Eklat sorgt, distanziert sich der Dandy und
Kaspar bleibt weiterhin bei Daumer. Eines Tages kommt Kaspar mit einer
Verletzung nach Hause, man hat ihm wohl ein Messer in die Brust
gestoßen. Diese Verletzung führt zum Tod. Am Sterbebett erzählt Kaspar
den Traum von einer Karawane, die von einem blinden Berber in die Stadt
geführt wird. Sie erreichen diese Stadt, aber an den weiteren Verlauf
dieses Traumes kann er sich nicht mehr erinnern...
Eine Szene des Films, die den Titel "Jeder für sich und Gott gegen
alle" erklärt, fiel der Schere zum Opfer. Dort wird das Zitat aus dem
Film "Macunaima" von Joaquin Pedro de Andrade herangezogen und der
Protagonist sagt "Wenn ich um mich sehe und die Menschen betrachte, habe
ich das Gefühl, dass Gott etwas gegen sie haben muss". Herzog skizziert
einen fast schon erwachsenen Menschen, der von 0 auf 100 ganz brutal in
eine fremde Welt hineinkatapultiert wird. Er hat diese Welt noch nie
gesehen und ist dementsprechend irritiert. Er lernt Regeln kennen,
versteht jedoch den Sinn dahinter kaum und wird von den Menschen
begafft, ausgelacht und bemitleidet. Herzog war sehr daran gelegen
seinen Kaspar Hauser als leeres Gefäß darzustellen. Der Film wird oft
mit Truffauts "Der Wolfsjunge" verglichen, doch Herzogs Film ist weniger
nüchtern und bietet einige Kuriositäten. Dies sorgt für eine
zusätzliche Faszination, trotz der spröden und fast schon traurigen
Machart. Die Biedermeierzeit wird grandios eingefangen und in diesem
Zusammenhang darf auch die große Leistung von Kameramann Jörg
Schmidt-Reitwein nicht unerwähnt bleiben, der zweimal den deutschen
Filmpreis gewinnen konnte und auch für die Bilder von Herzogs späterem
Meisterwerk "Nosferatu" verantwortlich ist. Herzogs Film ist ganz anders
als die Neuverfilmung "Kaspar Hauser" von Peter Sehr aus dem Jahr 1992,
aber auf alle Fälle ein großes Meisterwerk.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
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