Regie: Chen Kaige
Sehnsucht nach dem irdischen Leben...
Die Pekingoper "Lebewohl meine Konkubine" spielt zur Zeit der
Machtkämpfe zwischen den Chu und den Han. Der König war damals überaus
mächtig. Am Ende blieben ihm aber nur eine Frau und ein Pferd. Er
wollte, dass seine Konkubine auch flieht. Aber sie blieb bei ihm. Ein
letztes Mal goss sie ihrem Geliebten Wein ein, tanzte für ihn den
letzten Schwerttanz und erstach sich danach mit dem Schwert. Sie blieb
ihrem König treu ergeben bis in den Tod. Chen Kaiges Meisterwerk beginnt
im China des Jahres 1977, kurz nach dem Ende der sogenannten
Kulturrevolution. Auf einer Bühne trifft der Peking-Opernstar Cheng
Dieyi (Leslie Cheung) nach 11 Jahren seinen ehemaligen Partner Duan
Yialou (Zhang Fengyi) wieder. Beide Schauspieler haben ihr altes
prächtiges Opernkostüm an, sind edel maskiert und geschminkt. Der eine
als Mann und der andere als Frau. Der König und seine Konkubine. Der
Hausmeister ist der einzige Zuschauer, erkennt aber die Stars sofort
wieder. Dann tut sich für den Zuschauer in einer Rückblende die jüngste
Geschichte Chinas auf. Es ist eine Geschichte von Diktatur, Bürgerkrieg
und Revolution, vom Theater und vom Leben. Aber auch die Geschichte
dieser beiden Männer, die sich schon seit ihrer Kindheit kennen und
miteinander befreundet sind. Damals noch als Schauspielschüler Shitou
(Kind: Fei Yong/Teenager: Zhao Holong) und Douzi (Kind: Ma
Mingwei/Teenager: Yin Zhi). Letzterer wird zuerst von Meister abgelehnt,
da er wenig Talent bei dem sensiblen Jungen wahrnimmt und auch einen
sechsten Finger an dessen Hand. Die Mutter (Wenli Jiang) trennt ihn
kurzerhand mit einem Messer ab. Der Junge soll es besser haben. Und die
Lehrer sagen tatsächlich "Ihr habt bei uns das große Los gezogen" - die
Realität wird aber bestimmt durch unmenschliche Prügel und
Foltermethoden. Mit Ziegelsteinen werden die Beine auseinandergerissen,
damit der Spagat gelingt. Jeder falsche Schritt ein Schlag und auch für
den falschen Text, den Douzi immer wieder aufsagt "Die kleine Nonne ist
eben erst 16 geworden und ihr langes und sehr hübsches Haar ist ihr von
der Meisterin abgeschnitten worden, ich bin eigentlich ein Jüngling und
keine zarte Schönheit"...dabei müsste es "ich bin eigentlich eine zarte
Schönheit und kein Jüngling, weswegen trage ich eine gelbe Kutte um die
Hüfte" heissen. Doch dieser Satz will nicht über seine Lippen.
Irgendwann, nach viel Tränen, viel Blut und mit Hilfe der glühenden
Tonpfeife des Lehrers, sitzt aber genau dieser Satz in höchster
Vollendung und Perfektion und der kleine Schauspieler identifiziert sich
immer mehr zu 100 Prozent mit seiner Rolle als Konkubine. Die beiden
werden erwachsen und er wird sich schmerzlich bewusst, dass er seinen
Freund Shitou liebt. Doch diese Liebe bleibt unerfüllt und wird nur auf
der Bühne in der Form des tragisches Pekingopernstücks zelebriert. Diese
Vorstellungen bedeuten dem Schauspieler aber alles. Doch Shitou lernt
im Haus der Blüten die Prostituierte Juxian (Gong Li) kennen und nimmt
sie zur Frau, was zu großen Spannungen zwischen den beiden Freunden führt....
Juxian braucht einen Beschützer, aber am
Ende schützt sie die Männer voreinander und vor der
Wirklichkeit„"Lebewohl meine Konkubine" erzählt neben der jüngsten
chinesischen Geschichte (vom alten China der alten Generäle der
zwanziger Jahre, den japanischen Besatzern, den Kuomintang, den
Kommunisten und den Reformern ) auch eine komplizierte Dreieckstragödie
zwischen einem Mann, einer Frau und einem Homosexuellen, der seine
Sehnsüchte nie ausleben kann und daher eine Besessenheit für seine Rolle
wählt. In diesen Zeiten der vielen Umstürze und ständigen
gesellschaflichen Wandlungen ist es schwierig für die Schauspieler
neutral zu bleiben. Sie werden sich immer wieder politisch positionieren
müssen, der Künstler muss zur "Hure" werden, wenn er überleben will.
Besonders beängstigend ist eine der Schlußszenen, während die Kostüme
der Schauspieler im Feuer lodern und die Akteure öffentlich als Verräter
vorgeführt werden. Die Kulturrevolution wird inszeniert als eine
flammende Inquisition. Das Propagandarot der Fahnen und Straßenumzüge
macht richtig Angst -die Hitze verzerrt die Masken, die die Angeklagten
tragen müssen, zu hysterischen Fratzen. Die Freunde werden einander zu
Monstern und so werden die Verratenen selbst zu Verrätern. Am Ende kann
nur der Tod die Erlösung bringen.
Chen Kaiges Film entstand
1993 und bekam im gleichen Jahr in Cannes die Palme D´Or zugesprochen.
Es folgte eine Oscar-Nominierung als bester fremdsprachiger Film, musste
sich allerdings von Fernando Truebas "Belle Epoque" geschlagen geben.
Besser liefs bei der Golden Globe und BAFTA Verleihung. Dort konnte der
Film den begehrten Preis als bester Auslandsfilm gewinnen. Veredelt
wurde das Meisterwerk zustätzlich durch die geniale Kameraarbeit von Gu
Changwei. Für mich ist das 171 Minuten lange morbide Epos einer der
besten Filme der 90er Jahre.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
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