Regie: Maren Ade
Der anarchistsche Clown...
Was ist das Geheimnis des deutschen Films "Toni Erdmann" ? Maren Ades Film hat in diesem Jahr nach seiner Premiere auf dem Filmfestival in Cannes sofort die Filmkritiker erreicht, die den Film inzwischen mit Preisen überhäuft haben. Da wäre zuerst der Sieg bei den New York Film Critics Circle Awards zu nennen. Beim europäischen Filmpreis sahnte "Toni Erdmann" gewaltig ab und siegte in den Kategorien Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch und beste Hauptdarsteller Sandra Hüller und Peter Simonischek. Mit den Preisen für beste Kamera, bestes Kostümbild und bestes Maskenbild musste sich der spannende dänische Kriegsfilm "Unter dem Sand" geschlagen geben. Der Film ist für den Golden Globe und für den Oscar nominiert und nun am Ende des Jahres - in der Zeit, in der die Bestenlisten des Filmjahres 2016 erscheinen - wurde "Toni Erdmann" sogar von der angesehenen Filmzeitschrift "Cahiers du Cinema" zum besten Film dieses Jahres gekürt.
Auch "Sight and Sound" schloß sich diesem hervorragenden Urteil an - auch hier landete die deutsche Oscar-Hoffnung auf Platz 1.
Tatsächlich ist "Toni Erdmann" ein sehr aussergewöhnlicher Film, auf den sich der interessierte Zuschauer aber einlassen muss, wenn er ein Wirkung erzielen sollte. Denn "Toni Erdmann" ist mit 162 Minuten Laufzeit fast schon ein moderner Monumentalfilm geworden.
Erzählt wird eine Momentaufnahme zwischen Vater und Tochter. Der pensionierte und alleinstehende Vater Winfried Conradi (Peter Simonischek) lebt mit seinem alten Hund zusammen und er ist bekannt für seine skurrilen Scherze. Die Beziehung des ehemaligen Musiklehrers zu seiner Tochter Ines (Sandra Hüller) ist distanzierter geworden, denn Ines ist ein Globalplayer. Eine Unternehmensberaterin, die gerade die große Karriere bei Morrrison anstrebt und nur für ihren Job in Bukarest lebt. Dies bemerkt der Vater bei einem Besuch der Tochter in Deutschland - die hat kaum Zeit für die Familie und für die Freunde. Statdessen telefoniert sie ohne Unterlass - alles für den Erfolg in der Geschäftswelt.
Im Nu ist sie wieder weg und dann stirbt der Hund. In dieser Situation entscheidet sich der Vater zu einem spontanen Besuch bei seiner Tochter in der rumänischen Hauptstadt. Dort arbeitet Ines wie verbissen an einer Präsentation für den Auftraggeber Henneberg (Michael Wittenborn). Es geht dabei um Kostenersparnisse, um "Out-Sorcing" und auch um Personaleinsparung und Entlassungen.
Ines ist alles andere als erfreut von dem spontanen Besuch des Vaters. Zumal er wichtigen Leuten erzählt, dass er in Deutschland eine Ersatztochter engagiert hätte, die ihm auch noch die Fußnägel schneidet.
Am Ende des Films läuft die Karrierefrau hinter ihm her, auf den Straßen von Bukarest, in einem kleinen Park. Sie trägt nur einen dünnen Morgenmanntel und nichts darunter. Dann wirft sie sich dem Wesen an den Hals, der in einem Kukeri, einem Zotteltier-Folklorekostüm steckt und ruft "Papa" - eine innige Umarmung folgt in dem Kostüm, dass angeblich böse Geister vertreiben soll.
Der Vater hat sich Sorgen um das Wohl seiner Tochter gemacht. Vor dieser harmonischen Szene schlüpfte er in die Rolle des Unternehmensberaters und Botschafters Toni Erdmann (die Requisiten des Humors: schreckliche Perücke, billiges Plastikgebiß, Furzkissen) und bleibt in Bukarest präsent. Zuerst ist Ines genervt, dann lässt sie sich aber komischerweise auf dieses Spiel mit Maske und falscher Identität ein. Er bringt sie auch dazu bei einer Geburtstagsparty den Whitney Houston Song "The Greatest Love of All" zu schmettern, der irgendwie befreiend auf die Frau mit latenter Depression wirkt. Sie traut sich sogar ihre Kollegen (Thomas Loibl, Trystan Pütter, Ingrid Bisu) zur Nacktparty mit Brunch einzuladen....
Ein Film um Momente. Denn der Vater fragt im Film seine Tochter, ob sie glücklich ist. Sie weicht dieser Frage aus, die er ganz am Ende ihr beantwortet. Es waren diese Momente, als sie klein war und er sie vom Kindergarten abholte. Auch wenn der Vater die Situation in Bukarest mit Humor auflockern will, ist "Toni Erdmann" für mich alles andere als eine Komödie. Es darf zwar an einigen Stellen gelacht werden (Schildkröte, Käsereibe), aber die Grundstruktur der Geschichte ist sehr traurig und wirft die Frage auf ob das Individuum überfordert ist in dieser globalen Geschäftswelt, wo es nur noch um Erfolg und Geld geht. Alles ist mit einer depressiven Note versehen und tatsächlich spiegelt sich viel Wahrheit in dem Geschehen, dass sich in Bukarest abspielt. Menschen, die sich mit ihren Depressionen arrangiert haben und die Wut unterdrücken. Und tatsächlich regiert am Ende dann doch wieder die Wehmut. Die enstpannte und vielleicht glückliche Momentaufnahme muss unbedingt als Foto festgehalten werden, denn realistisch gesehen ist dieses Sekundenglück sofort wieder vorbei.
Großes Lob an die hauptdarsteller Sandra Hüller und Peter Simonischek.
Bewertung: 8 von 10 Punkten.