Regie: Robert Aldrich
Aus dem Alltag des LAPD....
Im Jahr 2016 wirkt "Die Chorknaben" von Robert Aldrich aus dem Jahr 1977 erschreckend aktuell. In den USA wurde die Polizei noch nie so hart kritisiert als jetzt, immer wieder werden die Gesetzeshüter beschuldigt viel zu schnell im Gebrauch mit der Schußwaffe zu sein. Vor allem dunkelhäutige Verdächtige laufen Gefahr von den Cops "in Notwehr" erschossen zu werden. Diese Fälle sorgten für eine Gewaltspirale auf die Polizisten, im Falle von erneuten Eskalationen herrscht beinahe schon eine Bürgerkriegsstimmung wie in den 60er Jahren. "Die Chorknaben" wurde in den 70ern zu einem guten Kinoerfolg, bei der Kritik kam Aldrichs bissiger Kommentar über eine Polizeieinheit aus Los Angeles nicht besonders gut weg. Einige ordneten ihn in den Bereich der Comedy ein, doch für einen heiteren Polizeifilm war das Szenario wohl nicht lustig genug. Und für eine Satire war die Geschichte dann doch irgendwie zu realistisch. Sicherlich gabs auch viele Zuschauer, die den Film einfach nur als Unterhaltungsfilm über eine verrückte Polizeitruppe wahrnahm. Aber in Wahrheit steckte da schon viel mehr drin als aus den Epsioden aus dem Alltag des LAPD. Die meisten im geschilderten Revier fahren zu zweit auf Streife. So bilden der aggressive und keine Spur empathische Roscoe Rules (Tim McIntire) mit dem noch sehr jungen Grünschnabel Dean Proust (Randy Quaid) ein Team. Der Youngster sieht dann hilflos zu, wie Roscoe es schafft eine potentielle Selbstmörderin so sehr zu reizen, dass sie dann auch tatsächlich vom Hochhaus springt. Oder wie er bei einer Massenschlägerei zwischen Schwarzen und Latinos so rassistisch agiert, dass sie die beiden Streitparteien zusammentun und die Bullen fast krankenhausreif prügeln. Der schon ältere, dickliche aber sehr abgebrühte "Spermwhal" Whalen (Charles Durning) hat Baxter Slate (Perry King) zum Partner und ein weiteres Zweierteam wird von Harold Bloomgaard (James Woods) und Sam Lyles (Don Stroud) gebildet. Sam ist mit Baxter befreundet, ist ein Vietnamveteran und bekommt in geschlossenen Räumen leicht Panik. Calvin Motts (Louis Gosset jr) hat mit seinem Partner Francis Tanaguchi (Clyde Kutsatsu) auch kein leichtes Los gezogen - sein Kompagnon gefällt sich mit Vampirzähnen und agiert als "Beißer" bei den Arbeitskollegen.
Alle Männer dieser Einheit sind "Die Chorknaben" - ihr Chef (Robert Webber) kann diesen wilden, eingeschworenen Haufen nicht konrollieren.
Wenn sie nicht mal gerade auf Streife sind, dann verbringen sie ihre Abende auch öfters im MacArthur Park - dort wird gesoffen, geprügelt, auf Enten geschossen und nackt erschrickt man Passanten oder weibliche Männer mit rosa Pudeln, die da mal in der Abenddämmerung vorbeilaufen. Irgendwann müssen Baxter, Harold und Sam bei der Sitte aushelfen. Dort macht man Jagd auf Prostutiere und Strichjungs. Der Chef der Abteilung (Burt Young) lässt einen schwulen Jungen (Michael Wills), der bei einer Razzia verhaftet wurde, aus Mitleid laufen. Einige Tage später wird genau dieser Junge ein Opfer der "Chorknaben"....
Und diese Cops sind wahrlich kein Aushängeschild für die Polizei - dein Freund und Helfer. Ganz im Gegenteil. Nie zuvor wurde eine Polizeigruppe im Kino so offen, anarchistisch, infantil und amoralisch gezeigt wie hier bei Robert Aldrich. Es gibt keine Trennlinie mehr zwischen den bösen Verbrechern, die gejagt werden sollen und den Cops von Los Angeles. Im Gegenteil: Die sind sogar in einigen Szenen weitaus schlimmer drauf als die Deliquenten, die sie dingfest machen sollen. Am Ende wird sogar auch der Tod eines jungen Mannes so hingedreht, dass keiner der Cops einen Nachteil erfährt.
Darüberhinaus hat Robert Aldrich auch noch eine Art Ensemblefilm ala "Der Clou" in die Handlung am Ende der Geschichte eingebaut - Charles Durning zeigt hier als durchtriebener Senior der Truppe wie man die Vorgesetzten austrickst. Der Film entstand nach dem Roman von Joseph Wambaugh, der sich später von der Verfilmung distanzierte, da sie ihm dann doch zu schrill und überzeichnet dargestellt waren. Allerdings muss ich sagen, dass mir gerade dieser Zynismus gefällt. Es wird geflucht, herumgeblödelt und dennoch zeigt die Geschichte anhand ihrer diversen Saufgelage, bei dem dann ein Mensch sein Leben lassen muss, das versteckte, aufgestaute Traumata der Polizisten, ihre Frustrationen und ihre Wut. Und ich glaube beinahe, Aldrich hat auch Recht, indem er den Schluß so ganz ohne Konsequenz für die Ordnungshüter enden lässt. Es wird sich nichts ändern. Man wird wieder so weitermachen und balanciert ständig am Abgrund entlang. Cop-Humor ist drastisch, schwarz und politisch völlig unkorrekt. In seiner gesamten Bandbreite wird er nur von den Kollegen verstanden und goutiert. Er bezeugt Zusammenhalt. Gleichzeitig ist er auch ein Instrument, mit dem sich das alltäglich erlebte Grauen auf der Straße, das ganze Gewaltspektrum, einigermassen in den Griff bekommen lässt. Es wird kanalisiert und transformiert, bis es sich in befreiendes Gelächter verwandelt. Vor allem ist diese Methode der Stressbewältigung zudem mit dem polizeitypischen Machogehabe vereinbaren. Beinahe krankhaft ist die Furcht der Männer vor Schwäche, die nie gezeigt werden darf. Furcht kann nur geteilt werden, wenn sie chiffriert wird. Besäufnisse und derbe Chorknabenspäße sind gut angesehen. Und tatsächlich passiert ja auch die Katastrophe erst dann, als einer der Chorknaben diese Maske . wohl oder übel - fallen lassen muss, weil er zufällig in seiner Schwäche entdeckt wurde.
Bewertung: 8,5 von 10 Punkten.
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