Regie: Martin Scorsese
Liebe und Verzicht...
Martin Scorseses Verfilmung des Romans "Age of Innocence" der
Pulizer Preisträgerin Edith Wharton ist nur auf den ersten Blick ein
ungewöhnliches Projekt des Regisseurs, der mit Mafiageschichten wie
"Good Fellas" oder Großstadtportraits wie "Taxi Driver", "Hexenkessel"
oder "Zeit nach Mitternacht" begeistern konnte. Sein 1993 entstandener
Film handelt von einer unerfüllten Liebe, aber auch von den Anfängen der
Stadt New York. Und genau da liegt ja eines der Hauptthemen des
Filmemachers. New York - die Stadt, die niemals schläft, hat er immer
wieder portraitiert, wie anschließend auch "Bringing out the Dead", "The
Wolf on Wall Street" oder "Gangs of New York". Letzterer ist im Jahr
1846 in Five Points, einem damaligen Elendsviertel von Manhattan
angesiedelt, und erzählt aus den Kindertagen dieser pulsierenden
Metropole. Etwa 25 Jahre ist diese Zeit der Unschuld angebrochen, die
New Yorker Upper Class hat sich formiert und pflegt ein bereits sehr
erstartes System mit sehr striken Regeln. Sie sind reich, politisch und
wirtschaftlich einflussreich und bestimmen mit ihrem konservativen Stil
wer zu Ihnen gehört und wer aus diesem illustren Kreis auch verstoßen
wird.
Martin Scorsese plante schon lange einen Liebesfilm zu machen, der
Filmkritiker Jay Cocks empfahl ihm den Roman von Edith Wharton. Columbia
Pictures stellte 35 Millionen Dollar als Budget bereit und man rechnete
fest mit einem Oscar-Regen, doch der Start des Films musste verschoben
werden, kam dann erst einige Monate später ins Kino und hatte bei der
Vergabe der Academy Awards plötzlich einen übergroßen Konkurrenten neben
sich: Steven Spielbergs "Schindlers Liste", der am Ende auch das Gros
der Auszeichnungen gewinnen sollte. Für "Zeit der Unschuld" sprang
lediglich der Preis für die besten Kostüme (Gabriella Pescutti) heraus.
Bei den Golden Globes holte sich immerhin Nebendarstellerin Winona Ryder
eine Auszeichnung und die australisch-britische Theaterdarstellerin
gewann denselben Preis bei der Verleihung den British Academy Film
Awards mit ihrer Rolle als Mrs. Mingott.
Der Film fängt mit einer berauschenden Sequenz aus der New Yorker
Oper an, die die große Klasse des deutschen Kameramanns Michael Ballhaus
eindrücklich beweist. Dort in den Logen trifft sich der illustre Kreis
der sozialen Oberschicht und die Anwesenden blicken misstrauisch auf die
junge Gräfin Olenska (Michelle Pfeiffer), von der man weiß, dass sie
lange in Europa war und dort mit ihrem Mann eine chaotische Ehe führte.
Nun ist sie alleine zurückgekehrt und Kenner der Gerüchte wollen wissen,
dass sie ihn im Streit verließ und einige Zeit bei dessen Sekretär
unterkam. Für diese Oberschicht schickt sich das nicht, das machen Larry
Lefferts (Richard E. Grant) und Sillerton Jackson (Alec McGowen) in
ihrem Gespräch sofort klar, dem auch der junge Anwalt Newland Archer
(Daniel Day Lewis) beiwohnt. Er ist mit der hübschen May Welland (Winona
Ryder) verlobt und versucht in der Folge den Ruf der Gräfin zu
rehabilitieren, schließlich ist sie eine enge Verwandte der Welllands,
die sich einen Skandal nicht leisten können. Denn dies bedeutet der
gesellschaftliche Tod in dieser ersten Blütezeit der USA.
Dabei lernt er die unkonventionelle Art der Gräfin schätzen, die so
anders ist als alle anderen nahen Menschen in seiner Umgebung. Sie
wirkt entspannt und wirkt fast naiv, obwohl genau dieses Umfeld schon
sehr stark am prüfen ist, ob die Frau, die in Trennung lebt, aus dieser
Gesellschaft ausgestoßen werden muss. Durch ein riesiges Fest bei der
einflussreichen Familie van der Luyden (Michael Gough, Alexis Smith)
scheint vorerst das Eis gebrochen und die Frau wird in den illustren
Kreis mit aufgenommen. Doch dann geschieht leider etwas
unverhergesehenes in dieser Welt der festen Regeln, wo alles seinen
festen Gang gehen soll: Newland verliebt sich in die Gräfin. Darf jedoch
niemals über seine Gefühle reden. Auch Elena Olenska hat Empfindungen
für Newland, auch sie ist an die Konventionen dieses Systems gebunden.
So erkennen die beiden zwar ihre Liebe zueinander, müssen sie aber
unterdrücken und noch mehr für die Öffentlichkeit total verstecken. Dann
gibt May, die bisher stets gezögert hat, spontan und überraschend
grünes Licht für die Hochzeit mit Newland....
Und dies macht die verbotene Liebe noch unmöglicher. Die
Geschichte, die Martin Scorsese hier erzählt, ist eine ganz traurige
Geschichte. Es handelt von der Leidenschaft eines Mannes, der diese
unterdrücken muss und damit sein Herz besiegt. Die letzte Szene dieses
stillen Meisterwerks fasst dann alles noch einmal zusammen, unerträglich
ergreifend, traurig und stark berührend. Im Original spricht Joanne
Woodward die Stimme aus dem Off, die immer mal wieder das Treiben dieser
opulenten Zeit beschreibt. Dabei spricht der Film nicht immer alles aus
- genau typisch für diese Zeit, in der nicht miteinander geredet wurde,
sondern übereinander und in dieser Zeit hat man auch stillschweigend
Komplotte ausgeheckt, wenn sie dem Ansehen der Familie dienlich waren.
Diese Erfahrung macht auch Newland Archer, der fast bereit wäre alles
für sein persönliches Glück aufzugeben, aber dann doch wie durch eine
großangelegte geheime "Verschwörung" davon abehalten wird.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen