Regie: David Lean
Adela Questets körperliche und seelische Krise...
Es war nicht James
Ivory, sondern David Lean, der als erster Regisseur sich die Verfilmung
eines Romans von E. M. Foster heranwagte. Und "Eine Reise nach Indien"
gilt eigentlich als das Meisterwerk des Schriftstellers, der 1970 im
Alter von 91 Jahren verstarb.
Sein intensives
Portrait eines großen Landes unter britischer Herrschaft verfilmte Lean
sehr werkgetreu und trotz der imposanten Schauwerte vergaß Lean nicht
auch die zeitkritische Komponente des Romans zu integrieren. Sehr
präsent ist der latente Rassismus der Besatzer. Darüberhinaus erwacht
auch langsam das Selbstbewusstsein der Inder. Durch das erlesene
Schauspieler-Ensemble gelangen auch herausragende Figurenportraits. Wie
in jedem Lean Epos nimmt aber auch die Umgebung, das Land eine große
Rolle ein - Indien ist natürlich besonders geeignet für faszinierende
und exotische Impressionen.
Leans letzter Film
spielte bei einem großen Budget von 17 Millionen gute 27,2 Millionen
Dollar ein und avancierte - ganz anders als der Vorgänger "Ryans
Tochter", der 14 Jahre vorher entstand - wieder zum Kritikerliebling.
Der Film wurde bei der Oscarwahl 1985 mit 11 Nominierungen bedacht.
Somit gabs es im Vorfeld einen Gleichstand mit Milos Formans "Amadeus",
der dann auch der große Sieger des Abends wurde. Immerhin gewann "Reise
nach Indien" in den Kategorien Best Original Score (Maurice Jarre) und
der Preis der besten Nebendarstellerin ging an die damals 78jährige
Britin Peggy Ashcroft.
Die Geschichte
spielt in der fiktiven indischen Stadt Chandrapore. Dorthin sind zwei
britische Frauen unterschiedlichen Alters gereist. Die junge Adela Quest
(Judy Davis) hat diese Reise deshalb gewagt, weil sie ihren Verlobten
Ronny Heaslop (Nigel Havers) besucht - sie hat keine Rückfahrkarte
gewollt, denn es könnte sein, dass sie bei ihm in Indien bleibt. Ronnys
Mutter Mrs. Moore (Peggy Ashcroft) ist ihre Mitreisende. Der smarte
Gentleman arbeitet als Friedensrichter in Britisch Indien. Sowohl Adela
als auch Mrs. Moore wollen das richtige Indien kennenlernen. Doch das
ist gar nicht so einfach, denn Briten und Inder leben sehr getrennt
voneinander. Viele Briten fühlen sich als Herren des Landes und nehmen
die Einheimischen nur als Dienstboten wahr. Natürlich haben Inder in den
vornehmen englischen Clubs keinen Zutritt. Einzig und allein der Lehrer
und Leiter der Hochschule Richard Fielding (Edward Fox) hat einen
wesentlich hesseren Zugang zu den Indern, weil er aufgeschlossen genug
ist. Diese Haltung gefällt den beiden Frauen und vor allem Adela ist
enttäuscht, dass ihr Verlobter so ein arroganter Snob geworden ist.
Durch Mrs. Moore lernt auch Adela den verwitweten Arzt Dr. Aziz (Victor Banerjee) kennen.
Dieser organisiert für die beiden Ladys einen Ausflug zu den berühmten
Höhlen von Marabar. Die Briten halten diese Höhlen mit ihren Echos für
ein überbewertetes Event. Doch Dr. Aziz und der indische Professor
Godbhole (Alec Guinness) behaupten, dass die Höhlen bei ihren Besuchern
etwas auslösen. Tatsächlich wird sich dieser Ausflug schicksalshaft
auswirken. Während Mrs. Moore einen klaustrophobischen Anfall erleidet,
wandert Adela mit Aziz zu den höher gelegenen Eingängen. Dort erleidet
auch Adela bei einem Alleingang in eine der Höhlen einen Zusammenbruch
und sie ist danach überzeugt, dass Aziz versucht hat sie zu
vergewaltigen...
Tatsächlich sind
die Briten sofort von der Schuld des Inders überzeugt, er wird verhaftet
und man kann davon ausgehen, dass der Ausgang des Prozesses bereits im
Vorfeld feststeht. Nur Mrs. Moore und Fielding sind überzeugt von der
Unschuld Azizs. Aber Adela bleibt bei ihrer Behauptung. In einer der
besten Szenen des Films fährt Adela gleich nach der Ankunft in Indien
mit dem Fahrrad davon - einfach um das Land kennenzulernen. Dabei
verlässt sie die sichere Straße und fährt spontan einen Seitenweg
entlang. Etwas weiter weg von der Zivilisation. Dort kommt sie bald an
ein verfallenes Gebäude, wo sich auch einige erotische Statuen befinden.
Sie ist sichtlich beeindruckt und faziniert. Doch die Stille wird vom
Gebrüll einiger Affen unterbrochen. Dieses Gebrüll wirkt bald auch so
als wäre eine unsichtbare Gefahr im Anmarsch. In diesem Moment besinnt
sich Adela wieder und ergreift die Flucht. Eine sehr gelungene
symbolische Szene für das Hauptthema des Films: Gefahren, die die fremde
Kultur langsam offenlegt. Auch wenn Alec Guinness seine Rolle nicht
mochte, doch nach meinem Empfinden ist sein Godbhole eine sehr wichtige
Figur und er verkörpert sie sehr gut. Peggy Ashcroft hat m.E. völlig zu
Recht den Oscar gewonnen. Lean war natürlich immer mit den Landschaften
beschäftigt und besessen von der perfekten Einstellung. Dennoch gelang
es ihm, dem Film einen intimen Charakter zu geben.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
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