Regie: Luca Guadagnino
Ruf mich bei deinem Namen...
Bei der Oscarverleihung sorgten die Nominierungen für "Call me
by your name" (darunter auch bester Film) für eine Überraschung, denn
Luca Guadagninos Film ist alles andere als übliches Oscarfutter und
irgendwie weit davon entfernt ein Film fürs amerikanische
Mainstreampublikum zu sein. Regisseur Guadagnino, der Sohn einer
Algerierin und eines Italieners wuchs einige Jahre in Äthiopien auf,
besuchte die Universität La Sapienza in Rom. Bereits 1999 legte er mit
"The Protagonists" sein Spielfilmdebüt vor. Es folgte eine 35-minütiger
Kurzfilm mit Tilda Swinton. Sie war auch in seinem Film "Io sono
l´amore" zu sehen. Dieser Film erhielt sogar eine Golden Globe
Nominierung. Es folgte "A bigger Splash" - ein Remake des Alain
Delon/Romy Schneider Klassikers "Swimmingpool".
"Call me by your name" ist auf den ersten Blick gesehen ein
Sommerfilm mit viel Romantik und viel Melancholie, denn zu einer ersten
großen Liebe kommt dann am Ende auch noch ein Abschied dazu. Für die
Kameraarbeit hat der italienische Filmemacher auf den Thailänder
Sayombhu Mukdeeprom gesetzt. Eine sehr gute Wahl, der Cinemathograph hat
bislang für Apichatpong Weerasethakul (u.a. auch für "Onkel Boonmee
erinnert sich an seine frühere Leben") gearbeitet.
Eine starke Komponente liegt auch in der Filmmusik - hier konnte
Sufjan Stevens gewonnen werden, der erstmalig für einen Film drei
Filmsongs (Mystery of Love, Visions of Gideon", "Futile Devices")
beisteuerte. Der Mann weiß, wie man dichte melancholische Lieder
schreibt.
Die Geschichte spielt in den frühen 80er Jahren, daher kamen auch
Songs dieser zeit von F. R. David, Franco Battiato, Lorendana Berte,
Bandolero, Giorgio Moroder und Joe Esposito zum Einsatz, als
Gegengewicht zum Pop dieser Zeit wurden auch Stücke von Ryuichi
Sakamoto, Johann Sebastian Bach und Maurice Ravel eingesetzt.
Die Geschichte ist recht alltäglich - der 17jährige Elio (Thimothee
Chalamet) lebt bei seinen Eltern im ländlichen Norditalien. Es sind
Ferien und es ist Sommer. Sein Vater (Michael Stuhlbarg) ist ein
angsehener Professor für Archäologie und er lädt jeden Sommer einen
Doktoranden für 6 Wochen dorthin ein, um eine Hilfe bei seinen
akademischen Papieren zu haben und um bei Forschungsarbeiten zu helfen.
In diesem Sommer ist es der zuerst etwas oberflächlich und etwas
arrogant wirkende Amerikaner Oliver (Armie Hammer) aus New England. Der
schöne Landsitz liegt irgendwo in der Poebene, nahe der Kleinstadt
Crema. Elio ist mehrsprachig aufgewachsen, der Vater ist vermögend und
dementsprechend ist die Mutter (Amira Cazar) durch einige Dienstboten
entlastet. Der Haushalt wird von Mafalda (Vanda Capriola) geschmissen.
Elio ist ein Schöngeist, er liest viel und ist ein talentierter
Klavierspieler. Mit der etwa gleichaltrigen Mariza (Esther Garrel)
flirtet er ein bisschen und der Neuankömmling sieht gut aus und hat auch
gleich einige Verehrerinnen um sich geschart. Vor allem die hübsche
Chiara (Victoire Du Bois) scheint sich sehr stark für den attraktiven
Ami zu interessieren. In dieser zeit versucht auch Elio Oliver
einzuschätzen. Er merkt, dass der ihm alles andere als egal ist,
vermutet aber, dass Oliver ihn nicht besonders leiden kann. Gelegentlich
schwimmen sie zusammen und machen Spaziergänge oder Radtouren in die
Stadt. Er beginnt eine sexuelle Beziehung mit Mariza und prahlt damit
vor Oliver, um weitere Reaktionen abzuschätzen. Immer mehr fühlt er sich
von Oliver angezogen. Während eines Besuchts auf der Post fasst Elio
dann doch seinen Mut zusammen und deutet an, dass er Gefühle empfindet.
Obwohl Oliver zögern, kommt es am folgenden Tag zum ersten Kuss...
"Call me by your name" ist vor allem ein europäischer Film, die
Handschrift des italienischen Regisseurs ist deutlich spürbar. Das
Schlußbild am Kamin ist wunderschön und doch gleichzeitig sehr
schmerzhaft, denn mit Abschied wird sich jeder Zuschauer identifiieren
können, auch mit dem süßen Schmerz der ersten Liebe, die man für immer
in Erinnerung behalten wird.
Die Affäre eines 17jährigen Jungen mit einem 24jährigen
US-Amerikaner basiert auf dem 2007 erschienen Roman von Andre Aciman
(Ruf mich bei deinem Namen) wird getragen von hervorragenden
Darstellerleistungen. Der 1995 geborene Timothee Chalamet wurde sogar
mit einer Oscar-Nominerung als bester Hauptdarsteller geehrt - leider
war Gary Oldman als Churchill so sehr Churchill, dass man voraussehen
konnte, dass nur er das Rennen machen kann. Schauspiel-Oscars vergibt
man gerne an Darsteller, die bekannte und historische Persönlichkeiten
darstellen. Ein Hoch aufs Method Acting - oder auch nicht. Jedenfalls
finde ich die Leistung von Chalamet genauso preiswürdig. Sie ist halt
völlig anders, hat Identifikationscharakter, Tiefe und löst Emotionen
aus, während die andere Art der Schauspielkunst wie sie Gary Oldman
liefert, den Zuschauer so verblüfft und beeindruckt, weil man es schafft
eine bekannte Persönlichkeit zum Leben zu erwecken.
Von den vier Oscarnominierungen konnte James Ivory den Preis fürs
beste adaptierte Drehbuch gewinnen - damit gelang dem mittlerweile
90jährigen Regisseur von Filmen wie "Zimmer mit Aussicht" oder "Maurice"
ein glänzendes Comeback.
"Call me by your name" ist sicherlich einer der schönsten Filme
dieses Jahres. Dem Regisseur gelang ein super Film, der sowohl
feinfühlig, lebendig und auch zerbrechlich wirkt. Damit ist ihm nicht
nur ein Klassiker des Jugendfilms gelungen. Weit mehr als Coming of Age
oder Coming out - die Hauptthemen dieses Films sind die Sehsucht und die
Vergänglichkeit.
Bewertung: 9,5 von 10 Punkten.
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