Regie: Sebastian Lelio
Starke Marina...
In der Oscarnacht 2018 wurde mit "Eine fantastische Frau" zum
zweiten Mal in Folge der Preis für den besten fremdsprachigen Film an
einen Beitrag vergeben, der auch stark mit politischen und
gesellschaftlichen Diskussionen verknüpft ist. Im Jahr 2017 sorgte die
Politik von Donald Trump dafür, dass der Iraner Asghar Farhadi vom
erlassenen Einreiseverbot bestimmter islamischer Staaten profitierte -
die Academy wählte seinen Film "The Salesman" nicht zufällig als
Preisträger aus, man wollte hier ein klares Zeichen gegen die Trumpsche
Herrschaft setzen. Auch in diesem Jahr schaffte es mit "Eine
fantastische Frau" (Originaltitel: Una Mujer Fantastica) ein Filmbeitrag
überraschend zu gewinnen, den man auch unmittelbar mit den derzeitig
aktuellen Themen wie "Transgender", "LGBT" oder gar "Me Too" in
Zusammenhang sehen kann. Damit fegte er sämtliche Favoriten aus dem
Rennen. Für den Golden Globe war dieser chilenische Film ebenfalls
nominiert. Im Oscar-Rennen stach er sogar Fatih Akins Golden Globe
Sieger "Aus dem Nichts" aus, denn der deutsche Beitrag verpasste knapp
das Ziel unter die ersten fünf zu kommen. Auch alle anderen Golden Globe
Nominees unterlagen dem Transgender Film von Regisseur Sebastian Lelio,
der bereits vorher bei der Berlinale den Teddy Award und den silbernen
Bären fürs beste Drehbuch erhielt.
Getragen wird der Film von der ausgezeichneten Darstellerin Daniela
Vega, die am 3. Juni 1989 als David Andres Vega Hernandez geboren
wurde. Im Alter von acht Jahren entdeckte ein Lehrer sein Talent im
Operngesang. Dies ist deshalb erwähnenswert, weil Daniela in "Eine
fantastische Frau" am Ende eine Arie singt und im Laufe der Geschichte
ihren Gesangslehrer besucht - damit sind die autobiographischen Anteile,
die die Filmfigur "Marina" besitzt, zusätzlich verstärkt.
Die Tatsache, dass Marina transsexuell ist, verändert die
Geschichte, macht sie bewegender und intensiver. Man fühlt sich sehr
schnell an einige Werke von Rainer Werner Fassbinder erinnert - er war
in den 70ern bekannt dafür Aussenseiter zu präsentieren, die sich in
einer feindlichen Umgebung behaupten müssen, vielleicht sogar
zerbrechen. Doch Sebastian Lelio wählt für seine Protagonisten einen
viel hoffnungsvolleren Weg am Ende. Auch wenn es nicht einfach ist - als
der Regisseur weit vor der Drehphase sich mit einigen Transsexuellen
getroffen hatte und dabei Daniela Vega kennenlernte, wurde ihm auch
sofort klar, dass er seinen Film nur mit einer transsexuellen
Schauspielerin drehen würde.
Der Film fängt als Liebesgeschichte an. Der Zuschauer lernt das
Paar Marina (Daniela Vega) und Orlando (Francisco Reyes) kennen. Orlando
ist wesentlich älter als seine Partnerin, doch sie planen gemeinsam
immer mehr ihre Zukunft. So ist Marina bei ihrem 58jährigen Freund
eingezogen und Orlando hat ihr seinen treuen Hund geschenkt. Gemeinsam
wollen sie zu den Iugazu-Wassenfällen reisen, doch soweit kommt es nicht
mehr. In der Nacht wacht Orlando auf und klagt über Übelkeit. Er bricht
sogar kurz zusammen, Marina entscheidet sich ihn ins Krankenhaus zu
bringen. Er stürzt auch noch die Treppe hinunter und wird während der
Autofahrt immer schwächer. Im Krankenhaus angekommen, wartet Marina auf
Nachricht. Die Ärzte können ihr nur noch den Tod von Orlando mitteilen.
Sie wird befragt, ob sie eine Angehörige sei. Sie informiert Orlandos
Bruder Gabo (Luis Gnecco) und verlässt das Krankenhaus, um alleine sein
zu können. Doch sie wird bereits von der Polizei gesucht - dem Arzt kam
der abrupte Aufbruch seltsam vor und ausserdem machte die Frau, die sich
als Geliebte des Toten outete, einen sonderbaren Eindruck. Orlandos
Verletzungen vom Treppensturz - missgedeutet. Es könnte ein Fall für die
Kriminalpolizei sein und deshalb wird Marina von einer Kripobeamtin
(Amparo Noguera) verhört. Sie wird wie eine Verbrecherin behandelt, als
man im Pass immer noch den männlichen Geburtsnamen entdeckt. Doch das
ist nicht der einzige Konflikt, der nun ausgetragen wird. Die Exfrau von
Orlando (Aline Küppenheim) sowie sein Sohn Bruno (Nicolas Saavedra)
untersagen der Geliebten des Vaters den Besuch der Totenmesse und ihr
wird auch das Beisein auf der Beerdigung verwehrt. Sie wird so schnell
als möglich die Wohnung verlassen müssen und auch ihr Hund ist
verschwunden....
Ein bedrückender Film, der wütend macht - vor allem auch deshalb,
weil man gar nicht glauben will, dass es solche Diskriminierungen noch
geben kann. Tatsächlich sind aber die Bedingungen von Transsexuellen in
Chile alles andere als optimal. Der Regisseur gab aber an, dass dies
realer Alltag für Transgender zu sein scheint. Er hat aber seiner
Geschichte eine mitreißende und leuchtende Optik gegeben, so ist "Eine
fantastische Frau" visuell ganz stark und vor allem die
Hauptdarstellerin ist in fast jeder Szene präsent, muss sich in einer
Szene sprichwörtlich gegen den Wind stemmen und hat das Schicksal zu
bewältigen, was ihr am Ende tatsächlich auch gelingt.
Die Hauptdarstellerin ist sicherlich ein großer Gewinn, denn sie
wirkt, wie wenn sie sich ständig in Veränderung befindet. Einmal sehr
feminin, dann wieder maskulin. Auch das sonstige Repertoire geht über
verrückt bis vernünftig. Sebastian Lelio - sichtlich von Fassbinder
inspiriert - aber auch von Ingmar Bergman, denn in einem Interview
erinnerte er an dessen Zitat "es gibt keine komplexere Landschaft als
das menschliche Gesicht".
Bewertung: 8 von 10 Punkten.
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