Regie: Jacques Rivette
Suzanne Simonin, die Nonne von Diderot...
Jacques Rivettes "Die Nonne"
aus dem Jahr 1966 ist ein Film, den der Filmfreund im Lauf der Zeit
irgendwie aus dem Gedächtnis verloren hat, obwohl der Stoff - baiserend
auf dem Roman "La Religieuse" von Denis Dideron - im Jahr 2013 noch
einmal von Guillaume Nicloux verfilmt wurde.
Der Roman erschien in Frankreich im Jahr 1796, zwölf Jahre nach
seinem Tod. Der Autor erzählt die Geschichte der Suzanne Simonin, eine
Frauenfigur, die wahrscheinlich eine gewisse Ähnlichkeit aufweist als
seine Schwester Angelique (1720 - 1749), die sehr früh schon einem
Ursulinen-Orden beitrat und dort bereits in jungen Jahren im Zustand der
psychischen Verwirrung verstarb.
Rivette verfilmte den Stoff in einem sehr kargen und strengen
Gewand - hinter den Klostermauern erscheint das Leben Grau in Grau.
Lediglich in den hoffnungsvollen Momenten der Geschichte verändert sich
auch der Farbton, es erscheint für kurze Zeit alles irgendwie lebendiger
und farbiger.
Dabei ist die Geschichte in vielen Hinsichten sehr interessant. Der
Roman ist ein Werk der Aufklärung und richtet sich gegen die Bigotterie
und den Aberglauben jener Zeit, aber auch die religiösen Institutionen
müssen sich eine vernichtende Kritik gefallen lassen. Man muss aber kein
moralisch anklagendes Werk erwarten, denn der Gottesglaube - intim und
individuell - wird positiv dargestellt.
Desweiteren ist "Die Nonne" auch ein Plädoyer für die Rechte des
Einzelnen, für das Recht auf Selbstbestimmung, für das Recht der Frau -
in einer Zeit, in der Knechtschaft und Zwang allgegenwärtig war und die
Menschen Regeln und Normen unterworfen werden, die gar nicht hinterfragt
werden.
Der Film beginnt um 1750 mit dem Bild einer jungen Frau namens
Suzanne (Anna Karina), die sich in einem Hochzeitskleid vorbereitet, das
Gelübde der Keuschheit, des Gehormams und der Armut abzulegen - die
junge Frau soll Nonne werden. Aber im letzten Moment weigert sich die
junge Frau, denn sie fühlt sich trotz starkem Glauben nicht zu diesem
Leben berufen. Ihre Eltern (Charles Millot, Christiane Lenier) sind
fassungslos, denn als dritte Tochter des Hauses ist keine Aussteuer mehr
vorhanden. Daher soll Suzanne auch gegen ihren Willen ins Kloster
gesteckt werden. Nach diesem Skandal wird Suzanne im Haus der Eltern
kurz gehalten und man versucht sie mit allen Mitteln umzustimmen. Die
Mutter erzählt ihr auch noch, dass sie aus einem Fehltritt und aus der
Sünde hervorging und der Mann, den sie bislang Vater nannte ist nicht
der leibliche Vater. Über diesen Mann gibt die Mutter aber keine
Auskunft, sondern suggeriert ihrer Tochter noch, dass sie eine Mitschuld
aus dem Seitensprung in sich trägt und die Mutter nur zur Ruhe kommt,
wenn sie weiß, dass das Kind sein Leben der Kirche verschreibt. Aufgrund
dieses psychischen Terrors willigt Suzanne ein zweites Mal ein das
Gelübde abzulegen. Tatsächlich schafft sie diese Hürde, vor allem durch
die Zuwendung, die ihr von von der herzlichen Äbtissin Madame de Moni
(Micheline Presle) zuteil wird. Sie kann sich aber am Tag nach dem
Gelübde gar nicht mehr daran erinnern, dass sie es ablegte. Als die
Äbtissin stirbt, wird eine genauso junge Ordensfrau zu deren
Nachfolgerin gewählt. Und Soeur Sainte-Christine (Francine Berge) ist
mit diesem Amt auch sichtlich überfordert. Als Suzanne Kontakt mit einem
Anwalt aufnimmt, der das Gelübde rückgängig machen soll, wird sie wegen
diesem rebellischen Wesen von der neuen Oberin in sadistischer Weise
gezüchtigt. Denn die glaubt, dass die Abkehr vom Kloster auf den Satan
zurückzuführen sei und so wird Suzanne von den anderen isoliert, sie
dürfen auch nicht mit der Sünderin sprechen und auch das Essen wird
gestrichen. Sie isst die Abfälle der Anderen. Sie bekommt auch das
Verbot auferlegt nicht mehr zu beten. Überzeugt, dass Suzanne besessen
ist, darf sie auch von den anderen körperlich gezüchtigt werden. Doch
dann gelingt es ihr immerhin in ein anderes Kloster versetzt zu werden.
Dort scheint alles ganz anders zu sein. Die dortige Äbtissin Madame de
Chelles (Liselotte Pulver) ist eine Frohnatur und hat gleich großes
Interesse für Suzanne. Diese bemerkt aber auch gewisse Eifersüchteleien
anderer Nonnen, weil die Äbtissin nur noch Augen für Suzanne zu haben
scheint. Sie kann aber diese Zuneigung nicht richtig deuten. In der
Beichte erfährt sie von einem Priester, dass Madame de Chelles Zuneigung
sündhaften Charakter in sich trägt und sie solle sich hüten Nachts den
Kontakt mit ihr zu suchen. Beichtvater Morel (Francisco Rabal) verhilft
am Ende Suzanne zur Flucht. Doch auch in Freiheit geht die
Leidensgeschichte weiter. Sie landet auf der Suche nach gütigen
Menschen, die ihr weiterhelfen, in einem Bordell....
Das ist ein sehr starker Film von Rivette, der sogar im Jahr 1966
bei seinem Erscheinen, einen echten Skandal hervorrief. Damals hieß es
"Ein blasphemischer Film, der die Nonnen entehrt" und die Politik stieg
auch auf den Wunsch ein "dieses schändliche Machwerk" zu verbieten.
Gleich nach der Premiere auf den Filmfestpielen in Cannes wurde Rivettes
Film verboten und erst Monate später wieder freigegeben. Dabei ist
Rivettes Film dieser eindringlichen Novelle ein echtes Meisterwerk im
Genre der religiösen Filme und es täte gut daran, dass der Vatikan
diesen wichtigen Film auch in seinen Filmkanon aufnehmen würde, denn er
prangert nie den Glauben selbst an, sondern zeigt diesen als echten
Anker im Leben der geschundenen Frau. Seine Kritik bezieht sich auf
Tyrannei und Willkür und ist eine Aufforderung an die Kirche sein System
selbstkritisch auf lebensfeindliche Tendenzen zu beleuchten. Ein
wahnsinnig guter Film, den Arthaus hier für den anspruchsvollen
Filmfreund hier ausgegraben hat. Hoffe sehr, dass die Arthaus
Retrospektive wieder fortgesetzt wird.
Bewertung: 9 von 10 Punkten.
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