Montag, 28. Mai 2018

Der Geist des Bienenstocks

























Regie: Victor Erice

Magische Kinderaugen...

Leider ist "Der Geist des Bienenstocks" (Originaltitel: El espiritu de la colmena), ein Film des spanisches Regisseurs Victor Erice aus dem Jahr 1973, in Deutschland weitestgehend unbekannt - dabei handelt es sich um einen der schönsten Filme, dass das Kino jemals hervorgebracht hat.
Ein Film über die Phantasie der Kinder und über das kindliche Wahrnehmen der erwachsenen Welt in seiner Umgebung. Erzählt wird über die kleinen Ängste des Alltags - dies alles hat Regisseur Victor Erice mit viel Poesie überzogen und in wunderschöne Bilder eingebettet. Dabei ist auch der Klangteppich von Luis de Pablo besonders gut geglückt, der bereits im Vorspann (es werden Kinderzeichnungen präsentiert) die einzigartigte Stimmung von "Der Geist des Bienenstocks" heraufbeschwört.
Im Laufe der Handlung wird von der Off-Stimme ein Gedicht des belgischen Schriftstellers Maurice Materlinck rezitiert. "Jemand dem ich kürzlich in einme meiner Glasbienenstücke die bewegung dieses Rads gezeigt habe, das so offen lag wie das Gangrad einer Pendeluhr; jemand, vor dessen Blick sich das unüberschaubare Treiben der Waben entblößte, das unaufhörliche, rätselhafte und tolle Wogen der Ammen über dem Brutraum, die von den Wachsbienen gebildeten lebendigen Stege und Leitern, die übergreifenden Spiralen der Königin, die mannigfaltige und unaufhörliche Betriebsamkeit der Menge, die schonungslose und nutzlose Anstrengung, das fieberhafte Kommen und Gehen, die Schlaflosigkeit außerhalb der bereits von künftiger Arbeit bedrängten Brutzellen, die Ruhe des Todes selbst, ausgeschlossen aus einer Wohnstätte die weder Kranke noch Grabmäler duldet; jemand also, der all dies zu sehen bekam, wandte nach dem ersten Staunen alsbald den Blick ab, aus dem ich weiß nicht was für ein betrübtes Entsetzen sprach" - der Vater (Fernando Fernan Gomez) der beiden Mädchen Ana (Ana Torrent) und Isabel (Isabel Telleria) ist ein Bienenzüchter.  Teresa, die Mutter (Teresa Gimpera) schreibt an einem Liebesbrief, den sie irgendwann im Verlauf der Handlung verwirft und ins Feuer legt.
Wir sind in Spanien um 1940 und im kleinen Örtchen Hoyuelos, im kastillischen Hochland gelegen, geht es normalerweise sehr ruhig her. Eines Tages rollt ein Lastwagen auf den Ort zu, die Kinder freuen sich laut - es sind die Kinoleute, die eine Leinwand, ein Projektionsgerät und einige Filmrollen mitgebracht haben. Im Gemeindesaal wird diesmal James Whales "Frankenstein" gezeigt, der vom Vorführer begeistert gelobt wird. Auch die Erwachsenen des Dorfes sind alle dabei. Die Kinder fürchten sich etwas und die kleine Ana ist besonders beeindruckt. Ihre Fantasie beginnt sich zu entfalten, sie fragt ihre größere Schwester Isabel warum das Monster das kleine Mädchen getötet hat und warum später das Monster getötet wurde. Isabel findet darauf auch keine ganz schlüssige Antwort, die Kinder malen sich aber aus, was wäre wenn ein Geist auftauchen würde. Isabel kennt ein abgelegenes Haus, in dem sich ein Wesen aufhalten soll. Die Kinder sind sehr offen für Figuren aus anderen Realitäten.  Irgendwann erschreckt Isabel ihre kleine Schwester total, indem sie sich für kurze Zeit tot stellt und regungslos auf dem Boden liegen bleibt. Dann schleicht sie sich von hinten als Monster an.  Eines Tages entdeckt Ana einen fremden, wahrscheinlich flüchtigen Soldaten in dem verlassenen Gebäude, indem die Kinder vermuten, dass es geistert. Sie kümmert sich um den Fremden, bringt ihm etwas zu essen und den mantel ihres Vaters, in dem sich eine Taschenuhr befindet. Aus dieser Begegnung entwickelt sich durch die folgenden Ereignisse ein schweres Kindliches Trauma...






Was sehr schnell sichtbar wird ist die grandiose Kameraarbeit von Luis Cuadrado. Der hat eine ruhige Hand für sanfte Bilder, gleitet neugierig durch die kargen Landschaften und durchs Haus der Familie und hat viel Zeit die rätselhafte Stimmung, Großartiges und Nebensächliches und natürlich auch die Protagonisten selbst einzufangen. Deren Gesichter sind sehr beredt, diese Geschichte braucht gar nicht so viel Dialog, wirkt aber trotzdem in jedem Moment stark und liebevoll.
Im Unterricht müssen die Kinder ein Pappfigur namens Don Jose mit fehlenden Teilen von inneren und äusseren Organen komplettieren....eine perfekte Szene zur vorher gezeigten Kinovorführung, bei dem die Leute des Dorfes mit dem aus Leichenteilen zusammengesetzten Monster von Frankenstein konfrontiert wurden. Eine Art Boris Karloff Monster erscheint später der kleinen Ana. Alles bleibt rätselhaft und geheimnisvoll in der Schwebe. Spätere spanische Filmmeisterwerke wie "Das Waisenhaus" oder "The Devils Backbone" haben sich sicherlich am optischen Stil von Erices Film inspirieren lassen.
Neben der traumatischen Vergangenheit des Krieges und der Diktatur ist Erices Film abar auch ein herausragendes Beispiel für einen Film über Kinder als Kinogänger. Er zeigt die Wirkung dieses Mediums auf die Zuschauer, nicht zuletzt kann man "Der Geist des Bienenstocks" als eine perfekte Reflexion des Zusammenhangs von Kino, Wahrnehmung und Bildung ansehen. Mich hat diese Sichtweise total begeistert








Bewertung: 10 von 10 Punkten. 

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