Regie: Luis Bunuel
Einzigartiger Pilgerweg...
m Grunde ist "Die Milchstraße" von Luis Bunuel ebenso Episodenfilm wie auch sein später entstandener "Das Gespenst der Freiheit" und er sollte erst 15 Monate nach der Ausstrahlung im deutschen Fernsehen im Jahr 1970 in die deutschen Kinos kommen. Ein Erfolg war dem Film damals nicht beschieden, als er erstmalig in Frankreich am 15. März 1969 in die französischen Kinos kam. Zu offensichtlich war die Kritik an der katholischen Kirchenlehre und manche gingen sogar soweit den Filmemacher der Blasphemie zu beschuldigen. Tatsächlich scheint "Die Milchstraße" mit den suggestiven Bildsequenzen Verunsicherung schaffen zu wollen und zu schockieren. Dem Zuschauer fällt es zeitweise schwer, sich bei den ganzen Aufprall von Dogmen, Häresien und Blasphemien zu orientieren, denn es passiert auf dem Weg zum Ziel viel Merkwürdiges und Abstruses.
Unsere Milchstraße wird sehr oft als das himmlische Aquivalent des Jakobswegs bezeichnet, Bunuel hatte somit seinen Filmtitel.
Das Ziel der beiden Clochards Jean (Laurent Terzieff) und Pierre
(Paul Franceur) ist der spansiche Wallfahrtsort Santiago de Compostela.
Dort soll ja das angebliche Grab des Apostels Jakob sein und seit vielen
Jahrhunderten pilgern die Gläubigen auf ganz verschiedenen Routen
dorthin.
In erster Linie ist aber der Camino Frances gemeint, jene
hochmittelalterliche Hauptverkehrsachse in Nordspanien, die von den
Pyrenäen aus zum Jakobsgrab führt, sie entstand bereits in der ersten
Hälfte des 11. Jahrhunderts.
Die Pilgerfahrt der beiden Wanderer beginnt noch in Frankreich und
wird zunehmend zu einer Reise durch Raum, Zeit und (Kirchen)geschichte.
Sie begegnen auf ihrem Weg dorthin dem Teufel (Pierre Clementi) und auch
Jesus (Bernard Verley) und seinen Jüngern. Auch die Jungfrau Maria
(Edith Scob) tritt in Erscheinung und der Marquis de Sade (Michel
Piccoli). Aber zuerst werden sie beim Aufbruch noch einem
geheimnisvollen Mann mit Umhang (Alain Cuny) begegnen, der ihnen den
Ratschlag gibt mit einer Prostituierten Kinder zu zeugen und diese
Kinder "Du bist nicht mein Volk" und "Kine Barmherzigkeit mehr" zu
nennen. Auf ihrer Wanderung begegnen sie vielen sogenannten Gläubigen,
doch als Arme sind sie nicht immer erwünscht. Sie werden oft weggejagt.
Doch sie erleben Streitgespräche zwischen Jesuiten und Jansenisten. Sie
wohnen Folterungen und Verbrennungen von Häretikern bei und in einem
Alptraumbild sieht Jean wie ein Papst von einem Erschießungskommando
hingerichtet wird. Sie werden Zeuge wie schon Kleinkinder eines
religiösen Internat "erzogen" werden (dieses Gedicht über den Fluch der
Ungläubigen, das die kleinen Mädchen aufsagen, gehört zu den besten
Szenen des Films) oder erleben die Gespräche eines Maitre d´Hotel
(Julien Berteau), der mit seinen Angestellten über Gott, Jesus und den
heiligen Geist diskutiert.
Es hagelt kleine Bosheiten und fiese Fallen in diesen ironischen,
sarkastischen und absurden Sequenzen - aber sie geben Rätsel auf und
bewegen doch zum Nachdenken. Die Handlung ist niemals linear sondern
fungiert als symbolischer Reisebericht, der einen starken Anteil
christlicher Geschichte wieder zum Leben erweckt. Aus einer skeptischen
Perspektive lassen sich vielleicht aber auch gewisse Wahrheiten erkennen
und der Wunsch des Menschen nach der Sinnsuche, die logischerweise nur
in der Spiritualiät zu finden ist. Als die beiden die Grenze nach
Spanien endlich hinter sich gelassen haben, treffen sie noch auf zwei
Protestanten (Denis Manuel, Daniel Pinon), auf dessen Esel sie eine
gewisse Zeit aufpassen sollen. Die beiden jungen Männer wollen Zeuge
sein wie das Grab eines geistlichen Würdeträgers, der als Ketzer
entlarvt wurde, ausgehoben wird, um ihn von der heiligen Erde zu
verbannen. Am Ende treffen die beiden tatsächlich auf die Prostituierte
(Delphine Seyring) und Jesus gibt zwei Blinden das Augenlicht wieder.
Als Schlußbild ein weiterer Aspekt des "Wunders"...
und die Frage, ob allein der Glaube Berge versetzt bzw. der Glaube
die Realität bestimmt. "Ich bin Athesist, Gott sei Dank" ist der
berühmte Ausspruch von Bunuel und trotz der großen Kritik, die er hier
ausübt, gelingt ihm ein Film, der dazu auffordert, sich wieder mit dem
Glauben und der Religion auseinanderzusetzen. In der Tiefe offenbart
"Die Milchstraße" die Suche nach einer Wahrheit, die dem Menschen leider
verschlossen bleibt.
Bewertung: 8,5 von 10 Punkten.
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