Donnerstag, 3. Mai 2018

La Luna

























Regie: Bernardo Bertolucci

Die Operndiva und ihr Sohn...

Bei der Kritik kam damals Bernardo Bertoluccis "la Luna" nicht so gut weg. Kritikerpapst Roger Ebert sprach von einer Seifenoper, der russische Regiekollege Andrej Tarkovsky nannte den Film monströser, billiger und vulgärer Müll. Dabei ist "La Luna" ein großes Meisterwerk des Kinos, nicht mehr und nicht weniger.
Als ich den Film damals als Teenager im Kino sah, entdeckte ich sehr viele magische Momente. Vielleicht liegt es daran, dass man sich als Jugendlicher sehr stark mit den Nöten des 15jährigen Joe identifizieren kann. Der junge Akteur spielt seinen Part auch phänomenal gut - und Jill Clayburgh als seine Mutter ist einfach grandios. Damals - Ende der 70er Jahre - war die 2010 verstorbene US-Schauspielerin eine der begehrtesten Hollywoodstars. Sie wurde 1979 für "Eine entheiratete Frau" und ein Jahr später für "Auf ein Neues" jeweils für den Darstellerinnen-Oscar nominiert, aber "La Luna" ist eindeutig ihr stärkster Auftritt.
Herausstellen sollte man zwei Szenen dieser magischen Momente, in dem jedes Wort und jede Geste irgendwie in Erinnerung blieb - so lebhaft damals, dass man den Schmerz und all die Liebe, die ihn umgibt, richtig spüren konnte.
In einer der Anfangsszenen geht Joe mit einem etwa gleichaltrigen Mädchen ins Kino, sie verziehen sich dorthin, wo sie keiner sieht und sie entdecken sich körperlich - währenddessen läuft an der Leinwand Henry Hathaways "Niagara" und der Zuschauer sieht noch einmal die legendäre Szene als Marilyn Monroe am Abend aus ihrem Appartment kommt und sich zu der jugendlichen Clique gesellt, die draussen Platten auflegen. Diese Kinoszene ist so genial mit Bertoluccis Film zusammengeschnitten worden, dass es eine ganz wehmütige, aber erotisch hochexplosive Stimmung herstellt.
Die zweite Szene ist Zeitgeist der End-70er, Joe wird von einem Mann (Franco Citti) in eine Bar eingeladen und der Junge geht an die Musikbox, wählt dort "Night Fever" von den Bee Gees und fängt ganz unbefangen an zu tanzen. Er merkt gar nicht, dass der Typ mehr von ihm will. So gesehen ist in "La Luna" auch viel Coming out Story dabei und Bertolucci hat die melodramatische Struktur der Opern von Verdi als Vorlage für die Geschichte genommen, die mit einem Rückblick beginnt als Joe noch ein Kleinkind ist, dass neben seinen Eltern spielt.
Durch den plötzlichen Herztod von Joes Stiefvater Douglas (Fred Gwynne) an dem der Junge sehr hing, entschließt sich die bekannte Operndiva Caterina Silveri (Jill Clayburgh) von New York nach Rom zu ziehen. Dort erlebt sie einen echten Karriereschub und wird heftig umjubelt. Joe aber verliert sich in der italienischen Metropole, er fühlt sich von der Mutter nicht geliebt und unverstanden. Er  findet zwar schnell Anschluß an Gleichaltrige wie Ariana (Elisabetta Campett) oder Mustafa (Mustapha Barat), entfremdet sich aber immer mehr von seiner Mom. Die entdeckt auf Joes Geburtstagsparty, dass der Sohn Drogen nimmt und heroinabhängig ist. Der Junge unternimmt Streifzüge durch die ewige Stadt. Er besucht aber keine Touristenorte, sondern er sucht verborgene Winkel der Großstadt auf. Immer auf der Suche nach sich selbst. Caterine, bisher blind für die Nöte ihres Sohnes, will ihn unbedingt von diesem Teufelskreis der Drogen befreien. Sie stürzt deshalb in eine Karrierekrise und will nie mehr singen. Stattdessen fahren Mutter und Sohn gemeinsam in die Gegend von Parma, um Joe ihre Wurzeln zu zeigen. Beide geraten in einen Teufelskreis aus Abhängigkeiten, der bis zum Inzest führt....







Am Ende wird in den Caracalla-Thermen die Verdi Oper "Ein Maskenball" aufgeführt - eine bombastische und dynamisch aufgeladene Szene beendet die Geschichte, lässt aber offen wohin das Boot treibt. Ein Hoffnungsschimmer ist aber da. Konzipiert nach den Opern Verdis gelang es Bertolucci sogar eine Brücke zu den alten Klassikern des Neorealismus zu bauen, denn sehr oft erinnert "La Luna" vor allem an Rosellinis "Reise in Italien". Auch dort sind Impressionen von Italien dramaturgisch in den Handlungsverlauf eingebaut. Bei "La Luna" dominieren allerdings opulente Bilder. Kameramann Vittorio Storaro bevorzugte dabei helle und stark sonnendurchflutete Bildkompositionen, auch zeigt er Rom fernab bekannter Sehenswürdigkeiten. Die Auswahl dieser Schauplätze passt perfekt zum eigenen Charakter des Films. Storaro schwelgt beinahe in erdbetonten und goldenen Farben. Nicht umsonst ist der 3fach Oscarprämierte Kameramann (Apocalypse Now, Der letzte Kaiser, Reds) einer der ganz großen seiner Zunft, nur wenige Berufskollegen wie John Alcott, Geoffrey Unsworth, Giuseppe Rotunno, Tonino delli Colli, Christopher Doyle, Nestor Almendros oder Sven Nykvist haben ähnlich überwältigende Arbeiten abgeliefert.







Bewertung: 10 von 10 Punkten.

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