Mittwoch, 24. Juli 2019

The Favourite

Regie: Giorgos Lanthimos

Eifersüchtige Cousinen...

Für den griechischen Filmregisseur Giorgos Lanthimos ist sein 2018 realisierter Historienfilm "The Favourite" fast schon ein sehr konventioneller und publikumswirksamer Film. Das Einspielergebnis von über 95 Millionen Dollar beweist dies auch eindrücklich. Lanthimos ist sonst viel schräger und hat mit seinen bisherigen Filmen wie "Dogtooth", "Lobster" oder "The Killing of a Sacred Deer" eine große Fangemeinde und auch diverse Filmpreise errungen. Daher wirkt "The Favourite" auf den ersten Blick wie eine Veränderung seiner bisherigen Richtung. Wobei der Historienfilm in seinem Genre dann schon wieder schräg wirkt.
Erzählt wird von der Regentschaft der Königin Anne Stuart (1665 bis 1714), die ab 1702 regierte und nach der Vereinigung der einzelnen Königreiche im Jahr 1707 die erste Königin des Königsreichs Großbritannien wurde. Anne war auch die letzte britische Königin des Hauese Stuart und sie ist nicht besonders gesund. Im Film wird sie von der britischen Schauspielerin Olivia Colman gespielt, die für ihre Leistung sogar den Oscar als beste Hauptdarstellerin erhielt. Im Grunde hat "The Favourite" aber drei wichtige Darstellerinnen. Rachel Weisz spielt Sarah, die Countess of Marlborough - sie ist die wichtigste Vertraute der Königin. Emma Stone spielt Sarahs Cousine Abigail Hill, die zwar zur Familie Marlborough gehört, doch aufgrund der Schulden ihres Vaters an einen Gläubiger verkauft wurde und ihre Jugend als Magd verbrachte. Sarah hilft ihrer Cousine zwar, doch die darf vorerst nur niedere Arbeiten verrichten. Doch Abigail ist gerissen genug die Karriereleiter hochzulaufen. Sie kann durch ihr Wissen über Naturheilkunde der Königin ein Kraut gegen deren Gicht empfehlen und wird von Sarah als Zofe befördert. Abigail ist nun auch näher dran an der Königin und sie merkt, dass ihre Cousine sich auf die Kunst der Manipulation versteht und im Hintergrund die Geschicke des Königsreichs bestimmt. So ist Sarah unbedingt für die Fortsetzung des Krieges mit Frankreich und will das die Königin mehr Geld für die Armee ausgibt. Sarahs Mann Mr. Marlboro (Mark Gatiss) ist ein hervorragender Heerführer, weil derzeit in Frankreich und ist natürlich auf Nachschub angewiesen, wenn man den krieg gewinnen will. Der Politiker Robert Harley (Nicholas Hoult) versucht zeitgleich die Königin davon zu überzeugen Frieden zu schließen. Abigail entdeckt auch das Geheimnis der Königin und ihrer Cousine. Die haben nämlich eine Liebschaft miteinander, teilen miteinander manchmal das Bett und nennen sich Mrs. Freeman und Mrs. Morley, wenn keine Zuhörer zugegen sind. Abigail weiß sich aber auch einzuschmeicheln durch ihre Empathie mit den 17 Kaninchen der Queen. Bald wird sie auch Geliebte der Königin. Sie hat natürlich egoistische Pläne, denn die Heirat mit dem Höfling Samuel Masham (Jon Alwyn) könnte sie wieder in den Stand des Adels bringen. Bald sind die beiden Freundinnen der Königin harte Konkurrentinnen...





"The Favourite" hat in Deutschland den Zusatz "Intrigen und Irrsinn" erhalten - tatsächlich scheint dies das Programm des edel und exquisit ausgestatteten Films (Kostüme von Sandy Powell und Szenenbild von Fiona Crombie und Alice Fenton) zu sein. Die Bilder von Kameramann Robbie Ryan sind ausserordentlich gut. Das gleiche gilt für den Soundtrack, den Lanthimos für sein Historienspektakel ausgewählt hat. Es besteht folgerichtig hauptsächlich aus barocker und klassischer Musik, enthält Stücke von W.F. und J.S. Bach, Händel, Purcell, Vivaldi, Schubertund Schuman. Komplettiert wird dies mit Werken des 20. Jahrhunderts wie Kompositionen von Olivier Messiaen, Luc Ferrari und Anne Meredith und alles passt perfekt zusammen. Lanthimos hat das Ganze als schwarze Komödie konzipiert, zeigt zwei intrigante Cousinen und bekommt vor allem mit der sensiblen Darstellung von Olivia Colman, die der stimmungsschwankenden, labilen Königin eine besonders tragikomische Aura verleiht. Sie sorgte auch für den einzigen Sieg bei der Oscarverleihung. Alle anderen 9 Nominierungen, die der Film erhielt, gingen leer aus.





Bewertung: 8,5 von 10 Punkten. 

Gundermann

























Regie: Andreas Dresen

Baggerfahrer und Liedermacher...

Es ist nicht das erste Mal, dass Regisseur Andreas Dresen mit einem deutschen Filmpreis geehrt wird - seine Biographie des Liedermachers Gerhard Gundermann sahnte bei der Verleihung 2019 Preise in sechs Kategorien ab. Neben Andreas Dresen wurde auch die Drehbuchautorin Laila Stieler, Hauptdarsteller Alexander Scheer, Susanne Hopf fürs Szenenbild und Sabine Greunig für die Kostüme ausgezeichnet. Auch der Hauptpreis "Bester Film" ging an "Gundermann".
Mit "Nachtgestalten", "Halbe Treppe", "Sommer vorm Balkon", "Wolke 9", "Halt auf freier Strecke" und "Als wir träumten" schuf der 1963 in Gera geborene Filmemacher bereits einige sehr wichtige deutsche Filme der letzten Jahre.
"Gundermann" ist sowohl biographischer Film als auch Musikfilm - und nicht zuletzt eine Aufarbeitung über ein Leben in der DDR.
Der Liedermacher wird von Alexander Scheer gespielt und der Zuschauer erlebt den Künstler als Baggerfahrer und Liedermacher in der DDR und später nach dem Mauerfall auch im Hinblick auf seine Tätigkeit für das Ministerium der Staatssicherheit.
Gerhard Gundermann, seine Freunde nannten ihn "Gundi" pflegte eine asketische Lebensweise, er rauchte nicht und trank keinen Alkohol. Seine Rolle als Spitzel kommentierte er wie folgt "Ich sehe mich nicht als Opfer und auch nicht als Täter. ich habe mich mit der DDR eingelassen - mit wem sonst ? - und ich habe ausgeteilt und eingesteckt. Und ich habe gelernt. Deshalb bin ich auf der Welt".
Andreas Dresen war auch nicht interessiert seine Stasi-Tätigkeit zu moralisieren, der Regisseur wählte einen neutralen Weg.
In ausgewählten Episoden, die nicht immer chronologisch sind, lernt man das Leben des Liedermachers und Baggerführers kennen, der immer sagte, was er denkt. Durch seine Tätigkeit als Baggerfahrer gewinnt er die nötige Inspiration für seine Lieder und Songs, sie handeln auch von seiner Arbeit, dem Abbauen der Kohle. In seinen Songs hält er auch die Widersprüche fest. Durch seine Arbeit mit dem Bagger wird die Erde aufgerissen, trotz dieser wunderbaren Schönheit der Natur. Er ist ein überzeugter Kommunist und wird deshalb von einem Führungsoffizier (Axel Prahl) angeworben. Seine musikalische Karriere beginnt in einer Werkband. Dort lernt er auch seine spätere Frau Conny (Anna Underberger) kennen, die zunächst anderweitig liiert ist. Er gibt sich aber auch als Weltverbesserer, einer der hofft. So ist es ein leichtes, dass der Staatssicherheitsdienst an ihm Interesse zeigt. Im Grunde ist er zu naiv, was er mit dieser Spitzelei auch anrichtet und erst nach der Wende begreift er, was er seinen Freunden und Bekannten damit angetan hat.
In vielen Szenen begegnen sich die damaligen Freunde und müssen ihre Rolle als Opfer und auch als Täter definieren.



Dazwischen gibt es die Songs von Gundermann, gesungen von Hauptdarsteller Alexander Scheer, der damit den Mut hat - ähnlich wie Joaquin Phoenix als Johnny Cash die Songs selbst einzuspielen. Er behält dabei den melancholischen Unterton dieser Songs bei, die eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit elementaren Themen wie Leben und Tod haben.
Mit Sicherheit hat Andreas Dresen für einen Film der Vergangenheitsbewältigung einen ganz neuen Weg gewählt. Es ist sozusagen eine Geschichte, die das Leben schrieb.


Bewertung: 7 von 10 Punkten. 
 

Der Breitengrad der Liebe

























Regie: Pawel Pawlikowski

Liebe in Zeiten des kalten Krieges...

Im Nachkriegspolen suchen die Musiker Wiktor (Tomasz Kot) und Irena (Agata Kulesza) gemeinsam Talente für ein staatlich gefördertse Volksmusikensemble. Unter der Landbevölkerung gibt es viele Menschen, die gerne voller Leidenschaft singen und tanzen. In den ersten Szenen seines neuen Films ""Zimna wojna", der in Deutschland unter dem Titel "Der Breitengrad der Liebe" im Kino lief, sieht und hört man authentische Folklorelieder. Wiktors Aufmerksamkeit hat aber vor allem die blonde Zula (Joanna Kulig), die neben gesanglichem Talent auch eine starke Persönlichkeit ausstrahlt. Er verliebt sich in die Frau, obwohl Irena ihn warnt. Sie hat herausbekommen, dass die Frau auf Berwährung aus dem Gefängnis entlassen wurde. Sie hatte vor einiger Zeit ihren Vater mit einem Messer angegriffen. Wiktor will mehr wissen und Zula erzählt ihm von den sexuellen Missbrauch des Vaters. Sie wird natürlich in die Gruppe aufgenommen und dank Wiktors wird dieses Ensemble "Mazurek" zu einem durchschlagenden Erfolg. Selbst der regimetreue Opportunist und Chef Lech Kazmarek (Borys Szyc) ist von dem betörenden und charismatischen Gesang von alten Vollkswaisen regelrecht hingerissen. Doch subtil setzt er Wiktor und Irena unter Druck - sie müssen auch pro-kommunistische und stalinistische Propagandasongs ins Repertoire aufnehmen.  Irena gibt unter diesen Umständen auf, Wiktor macht weiter und beginnt ein Verhältnis mit Zula. Die gesteht ihm, dass Kaczarek sie benutzt um Wiktor auszuhorchen. Für Wiktor ist dies wohl die Entscheidung in Berlin, wo die Gruppe Anfang der 50er Jahre gastiert, in den Westen zu fliehen. Er verabredet sich mit seiner großen Liebe zur Flucht, doch die kommt nicht. Enttäuscht wagt er diesen Schritt alleine, doch die Liebe zu Zula ist damit noch nicht beendet. Die beiden treffen sich in den nächsten Jahren immer wieder und in Paris wagen sie endlich ein gemeinsames Leben...





Pawel Pawlikowski hat ein Faible für den schwarz-weiß Film, die Kameraarbeit von Lukasz Zal ist da genauso wie im Vorgängerfilm "Ida" ideal. Zal schafft betörend schöne Bilder, die viel zur Stimmung des Films beitragen. Dabei pflegt er einen nüchternen und etwas spröden Stil. Passend dazu die Musik - zum einen sehr gefühlsbetont bei den Folklorebeiträgen des Ensemble, dann wieder sehr unterkühlt bei den Jazzsongs von Zula. Insgesamt ist "Der Breitengrad der Liebe" ein edles Sehvergnügen, aber dennoch mit einem sehr traurigen Einschlag. "Der Breitengrad der Liebe" war der Gewinner bei der Vergabe der Europäischen Filmpreise und erhielt insgesamt 5 Auszeichnungen: Als Bester Film des Jahres 2018, Pawlikowski erhielt für die beste Regie und das beste Drehbuch gleich zwei Preise, die Hauptdarstellerin Joanna Kulig durfte sich über ihren Sieg freuen und auch der Schnitt von Jaroslaw Kaminski erhielt die Auszeichnung.
Bei der Oscarwahl 2019 war "Der Breitengrad der Liebe" einer der fünf Auslandsfilme, die ins Rennen gingen. 






Bewertung: 7 von 10 Punkten. 

Dienstag, 16. Juli 2019

Capernaum

Regie: Nadine Labaki

Odyssee in Beirut...

"Capernaum" ist ein libanesischer Film der Regisseurin Nadine Labaki und erinnert durch das Thema, durch Kraft und Intensität an wunderbare Klassiker wie de Sicas "Fahrraddiebe" oder Rosellinis "Deutschland im Jahre Null".
Meisterwerke, die auf der Straße spielen und auch sozial benachteiligten Menschen eine Stimme geben. Und die Figuren des Films befinden sich durchs Schicksal in großer Not und sind noch nicht mal erwachsen. Immerhin hatte der kleine Bruno Ricci in "Fahrraddiebe" ein liebevolles Elternhaus, obwohl die Familie in großer Armut lebte. Der kleine Zain El_Hajj (die Rolle wird von dem syrischen Flüchtlingsschauspieler Zain Al Rafeea gespielt) lebt im Slums von Beirut und möchte nichts mehr von seinen Eltern wissen, seine Mutter beschimpft er als "Monster". Was ist passiert ? Der 12jährige Zain hatte ein besonders gutes Verhältnis zu seiner ein Jahr jüngeren Schwester Sahar (Haita Izzam). Die Familie lebt in Armut und die Eltern Souad (Kawsar Al Hadad) und Selim (Fadi Yousef) sind mit den vielen Kindern heillos überfordert. Daher ist es überlegenswert, dass Kind mit dem interessierten Assad (Nour El Housseini) zu verheiratet. Zain kann das Verhalten seiner Eltern nicht verstehen und haut von zu Hause ab. Er irrt durch die Stadt und lernt auf dem Rummelplatz die äthiopische Wanderarbeiterin Rahil (Yordanos Shiferaw) kennen, die dort als Putzfrau arbeitet und sich illegal im Libanon aufhält. Die Frau lebt in einer Blechhütte hat auch einen kleinen Jungen namens Yonas (Boluwatife Treasure Bankole). Dort kann er vorübergehend unterkommen und während Rahil arbeitet, macht er den Babysitter für den kleinen Knirps. Eines Tages kommt die Mutter nicht von der Arbeit. Sie wurde von libanesischen Behörden festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Irgendwann glaubt Zain, der mit dem kleinen Kind völlig überfordert ist, dass Rahil den Kleinen einfach im Stich ließ. Damit beginnt für die beiden eine Odyssee durch die Straßen Beiruts...




Diese Geschichte wird im Rückblick erzählt, denn der kleine Zain hat seine Eltern verklagt, weil sie ihn in die Welt gesetzt haben. Obwohl Kläger befindet sich der 12jährige Junge bereits im Knast, weil diese Odyssee irgendwo damit endete, dass er jemand niedergestochen hat. Vor Gericht verteidigt er seine bestürzende Tat. "Capernaum" heißt übersetzt "Chaos" und dieses Chaos kann der Zuschauer in 126 beklemmenden Minuten mitverfolgen. Die libanesische Regisseurin hat zweifelsohne ein Meisterwerk geschaffen. Beim Filmfestival von Cannes kam zu minutenlangen Standing Ovations und der Film wurde auch als bester fremdsprachiger Film bei den Oscars nominiert. Zum Sieg hat es zwar nicht gereicht, aber hier haben wir es mit einem der besten Filme dieses Jahrzehnts zu tun. Bei einem Budget von 4 Millionen wurde "Capernaum" an der Kasse sogar ein Überraschungserfolg und spielte weitweit 68 Millionen Dollar ein. Das authentische Spiel des kleinen Zain Al Rafeea macht sehr nachdenklich, wie die ganze Geschichte. Sie macht wieder einmal klar, was jeder weiß: Auf unserer Erde herrscht ein ganz großes Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich und wir sollten alles mögliche versuchen diese Misere zu verändern.




Bewertung: 10 von 10 Punkten. 

Glücklich wie Lazzaro

























Regie: Alicia Rohrwacher

Der auferstandene Zeitreisende...

Bereits ihre früheren Filme "Für den Himmel bestimmt (2011) und "Land der Wunder" (2014) erlangten eine internationale Beachtung. Doch erst mit "Glücklich wie Lazzaro" scheint die italienische Filmemacherin Alicia Rohrwacher nun den Durchbruch geschafft zu haben. Im Rahmen des europäischen Filmpreises 2018 wurde der Film mit dem European University Film Award ausgezeichnet, hinzu kamen vier weitere Nominierungen in den Kategorien Bester Film, beste Regie - ebenso für das beste Drehbuch, dass Alicia Rohrwacher selbst schrieb und eine weitere Nominierung gabs für ihre Schwester Alba Rohrwacher als beste Schauspielerin für ihre Rolle als ältere Antonia.
Schade, dass der junge Adriano Tardiolo, der den Lazzaro spielt, gar nicht berücksichtigt wurde, denn er prägt mit seinem Gesicht den gesamten Film.
Es ist auch insgesamt eine Freude, dass sich Alicia Rohrwacher auf die Filmklassiker ihres Landes besinnt, denn "Glücklich wie Lazzaro" erinnert durch die märchenhafte Komponente auch ein bisschen an "Das Wunder von Mailand" von Vittorio de Sica. Man erkennt auch, dass die Regisseurin sich von den Filmen des Franzosen Robert  Bresson inspirieren ließ. Der Film hält die Armut auf dem Land und später in der Großstadt fest, daher wird man auch an Ermanno Olmis "Holzschuhbaum", an "Mein Vater, mein Herr" von der Gebrüder Taviani und an Gabriele Salvatores "Ich habe keine Angst" erinnert.
Dennoch ist Alicia Rohrwacher ein sehr eigenständiges Werk gelungen.
Die Geschichte spielt in einer Gegend in Italien, in der die Zeit etwas stehen geblieben ist. Auf einem Gut namens Inviolata arbeiten 54 Landarbeiter auf einer Tabakfarm. Für ihre Arbeit bekommen sie kein Geld, denn die Marquesa Alfonsina de Luna (Nicoletta Braschi) hat ihren Bauern die Information über die Abschaffung der Naturalpacht vorenthalten. Der italienische Staat hat bereits 1982 alle noch bestehenden Halbpacht-Verträge in ordentliche Pacht- und Lohnarbeitsverträge umgewandelt, doch die Gräfin macht schon lange Jahre weiter als sei nichts geschehen. Sie beutet ihre Arbeiter wie Sklaven aus und bereichert sich an deren Unwissen und der mangelnden Bildung.
Ihr Sohn Tancredi (Luca Chicovani, später wird er von Tommaso Ragno gespielt) leidet unter seiner Mutter und findet es grausam, dass sie ihre Arbeiter so extrem ausbeutet.
Einer der Arbeiter ist der junge Lazzaro (Adriano Tardiolo), der sehr fleißig ist und jeden Befehl ausführt, den er von den Anderen bekommt. Sein Pflichtbewusstsein und seine Güte werden von den anderen Arbeitern auch ausgenützt, jeder erteilt ihm Befehle. Interessanterweise macht der junge Mann dennoch einen glücklichen Eindruck, er ist mit sehr wenig zufrieden. Auf der bergigen Anhöhe hat er sich einen kleinen Platz geschaffen, wo er manchmal hingeht um die schöne Natur von oben zu genießen. Bei dem Besuch der Marquesa auf ihrem Anwesen bringt sie ihren Sohn mit. Tancredi freundet sich mit Lazzaro an, der ihm seinen ruhigen Platz in den Bergen gezeigt hat. Dort versteckt sich der junge Marquis und täuscht seiner Mutter vor, dass er entführt worden sei. Er weiht Lazzaro in seinen Plan ein und sie beschließen Brüder zu werden. Sie ahmen das Heulen eines Wolfs nach, um Kontakt mit dem Tier aufzunehmen, der seit geraumer Zeit durch die Landschaft streift und auch schon Schafe gerissen hat. Diese Entführung hat allerdings Folgen, da irgendwann die Polizei auftaucht und dort diese von der Aussenwelt abgeschiedenen Sklaven entdeckt. Die Arbeiter werden in die Stadt gebracht. Lazzaro ist verschwunden und keiner ahnt, dass er auf dem Weg zu Tancredi in eine Schlucht gestürzt ist...





Und wundersam taucht er Jahre später wieder auf, denn er erwacht in dem Moment, als der Wolf ihn wahrgenommen hat. Auf Umwegen kommt er in die Stadt, wo er auf Antonia (gespielt von Alba Rohrwacher, als junge Antonia ist Agnese Graziani zu sehen) trifft. Die ist mehr als verblüfft, denn Lazzaro wurde für tot gehalten und er ist kein bisschen älter geworden. Er wird in der Stadt auch wieder auf den in die Jahre gekommenen Tancredi treffen und ab diesem Abschnitt in der Stadt verwandelt sich diese Geschichte vom einfachen Bauernleben in ein Märchen - mit Rätseln, Widersprüchen, wundersamen Begebenheiten und guten und schlechten Figuren. Die Regisseurin schafft so ein Bindeglied zwischen der Realität und einer anderen Ebene der Wahrnehmung, die nicht greifbar ist. Es ist auch eine traurige Geschichte über Veränderungen geworden. So zeichnet der Film auch das Ende der Agrargesellschaft, einhergehend mit der Migration der Menschen vom Land an die Ränder der Städte, deren Modernität ihnen aber fremd ist und wo es ihnen nicht mal viel besser geht als vorher. Die Hauptfigur Lazzaro hat dabei die Aufgabe erhalten als Zeitreisender die Gegenwart mit seinen großen freundlichen Augen zu sehen. Durch das Wiedersehen mit dem jung gebliebenen Lazzaro keimt in den älter gewordenen Menschen wieder etwas Hoffnung auf. Die Regisseurin selbst hat ihren Film so beschrieben "Es ist die Geschichte eines umscheinbaren Heiligen, der keine Wunder vollbringt, der über keine besonderen Fähigkeiten verfügt, keine magischen Kräfte besitzt. Ein Heiliger, der in dieser Welt lebt und von niemandem etwas Böses denkt, der immer an die Menschen glaubt. Eine Geschichte, die über die Möglichkeit des Gutseins erzählt, die die Menschen immer beiseite geschoben haben und die dennoch immer wieder auftaucht. Der Film beginnt magisch mit nächtlichem Gesang der Männer vor dem Fenster einer jungen Frau und endet auch magisch.





Bewertung: 9 von 10 Punkten.