Dienstag, 16. Juli 2019

Glücklich wie Lazzaro

























Regie: Alicia Rohrwacher

Der auferstandene Zeitreisende...

Bereits ihre früheren Filme "Für den Himmel bestimmt (2011) und "Land der Wunder" (2014) erlangten eine internationale Beachtung. Doch erst mit "Glücklich wie Lazzaro" scheint die italienische Filmemacherin Alicia Rohrwacher nun den Durchbruch geschafft zu haben. Im Rahmen des europäischen Filmpreises 2018 wurde der Film mit dem European University Film Award ausgezeichnet, hinzu kamen vier weitere Nominierungen in den Kategorien Bester Film, beste Regie - ebenso für das beste Drehbuch, dass Alicia Rohrwacher selbst schrieb und eine weitere Nominierung gabs für ihre Schwester Alba Rohrwacher als beste Schauspielerin für ihre Rolle als ältere Antonia.
Schade, dass der junge Adriano Tardiolo, der den Lazzaro spielt, gar nicht berücksichtigt wurde, denn er prägt mit seinem Gesicht den gesamten Film.
Es ist auch insgesamt eine Freude, dass sich Alicia Rohrwacher auf die Filmklassiker ihres Landes besinnt, denn "Glücklich wie Lazzaro" erinnert durch die märchenhafte Komponente auch ein bisschen an "Das Wunder von Mailand" von Vittorio de Sica. Man erkennt auch, dass die Regisseurin sich von den Filmen des Franzosen Robert  Bresson inspirieren ließ. Der Film hält die Armut auf dem Land und später in der Großstadt fest, daher wird man auch an Ermanno Olmis "Holzschuhbaum", an "Mein Vater, mein Herr" von der Gebrüder Taviani und an Gabriele Salvatores "Ich habe keine Angst" erinnert.
Dennoch ist Alicia Rohrwacher ein sehr eigenständiges Werk gelungen.
Die Geschichte spielt in einer Gegend in Italien, in der die Zeit etwas stehen geblieben ist. Auf einem Gut namens Inviolata arbeiten 54 Landarbeiter auf einer Tabakfarm. Für ihre Arbeit bekommen sie kein Geld, denn die Marquesa Alfonsina de Luna (Nicoletta Braschi) hat ihren Bauern die Information über die Abschaffung der Naturalpacht vorenthalten. Der italienische Staat hat bereits 1982 alle noch bestehenden Halbpacht-Verträge in ordentliche Pacht- und Lohnarbeitsverträge umgewandelt, doch die Gräfin macht schon lange Jahre weiter als sei nichts geschehen. Sie beutet ihre Arbeiter wie Sklaven aus und bereichert sich an deren Unwissen und der mangelnden Bildung.
Ihr Sohn Tancredi (Luca Chicovani, später wird er von Tommaso Ragno gespielt) leidet unter seiner Mutter und findet es grausam, dass sie ihre Arbeiter so extrem ausbeutet.
Einer der Arbeiter ist der junge Lazzaro (Adriano Tardiolo), der sehr fleißig ist und jeden Befehl ausführt, den er von den Anderen bekommt. Sein Pflichtbewusstsein und seine Güte werden von den anderen Arbeitern auch ausgenützt, jeder erteilt ihm Befehle. Interessanterweise macht der junge Mann dennoch einen glücklichen Eindruck, er ist mit sehr wenig zufrieden. Auf der bergigen Anhöhe hat er sich einen kleinen Platz geschaffen, wo er manchmal hingeht um die schöne Natur von oben zu genießen. Bei dem Besuch der Marquesa auf ihrem Anwesen bringt sie ihren Sohn mit. Tancredi freundet sich mit Lazzaro an, der ihm seinen ruhigen Platz in den Bergen gezeigt hat. Dort versteckt sich der junge Marquis und täuscht seiner Mutter vor, dass er entführt worden sei. Er weiht Lazzaro in seinen Plan ein und sie beschließen Brüder zu werden. Sie ahmen das Heulen eines Wolfs nach, um Kontakt mit dem Tier aufzunehmen, der seit geraumer Zeit durch die Landschaft streift und auch schon Schafe gerissen hat. Diese Entführung hat allerdings Folgen, da irgendwann die Polizei auftaucht und dort diese von der Aussenwelt abgeschiedenen Sklaven entdeckt. Die Arbeiter werden in die Stadt gebracht. Lazzaro ist verschwunden und keiner ahnt, dass er auf dem Weg zu Tancredi in eine Schlucht gestürzt ist...





Und wundersam taucht er Jahre später wieder auf, denn er erwacht in dem Moment, als der Wolf ihn wahrgenommen hat. Auf Umwegen kommt er in die Stadt, wo er auf Antonia (gespielt von Alba Rohrwacher, als junge Antonia ist Agnese Graziani zu sehen) trifft. Die ist mehr als verblüfft, denn Lazzaro wurde für tot gehalten und er ist kein bisschen älter geworden. Er wird in der Stadt auch wieder auf den in die Jahre gekommenen Tancredi treffen und ab diesem Abschnitt in der Stadt verwandelt sich diese Geschichte vom einfachen Bauernleben in ein Märchen - mit Rätseln, Widersprüchen, wundersamen Begebenheiten und guten und schlechten Figuren. Die Regisseurin schafft so ein Bindeglied zwischen der Realität und einer anderen Ebene der Wahrnehmung, die nicht greifbar ist. Es ist auch eine traurige Geschichte über Veränderungen geworden. So zeichnet der Film auch das Ende der Agrargesellschaft, einhergehend mit der Migration der Menschen vom Land an die Ränder der Städte, deren Modernität ihnen aber fremd ist und wo es ihnen nicht mal viel besser geht als vorher. Die Hauptfigur Lazzaro hat dabei die Aufgabe erhalten als Zeitreisender die Gegenwart mit seinen großen freundlichen Augen zu sehen. Durch das Wiedersehen mit dem jung gebliebenen Lazzaro keimt in den älter gewordenen Menschen wieder etwas Hoffnung auf. Die Regisseurin selbst hat ihren Film so beschrieben "Es ist die Geschichte eines umscheinbaren Heiligen, der keine Wunder vollbringt, der über keine besonderen Fähigkeiten verfügt, keine magischen Kräfte besitzt. Ein Heiliger, der in dieser Welt lebt und von niemandem etwas Böses denkt, der immer an die Menschen glaubt. Eine Geschichte, die über die Möglichkeit des Gutseins erzählt, die die Menschen immer beiseite geschoben haben und die dennoch immer wieder auftaucht. Der Film beginnt magisch mit nächtlichem Gesang der Männer vor dem Fenster einer jungen Frau und endet auch magisch.





Bewertung: 9 von 10 Punkten. 

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