Regie: Alicia Rohrwacher
Der auferstandene Zeitreisende...
Bereits ihre früheren Filme "Für den Himmel bestimmt (2011) und
"Land der Wunder" (2014) erlangten eine internationale Beachtung. Doch
erst mit "Glücklich wie Lazzaro" scheint die italienische Filmemacherin
Alicia Rohrwacher nun den Durchbruch geschafft zu haben. Im Rahmen des
europäischen Filmpreises 2018 wurde der Film mit dem European University
Film Award ausgezeichnet, hinzu kamen vier weitere Nominierungen in den
Kategorien Bester Film, beste Regie - ebenso für das beste Drehbuch,
dass Alicia Rohrwacher selbst schrieb und eine weitere Nominierung gabs
für ihre Schwester Alba Rohrwacher als beste Schauspielerin für ihre
Rolle als ältere Antonia.
Schade, dass der junge Adriano Tardiolo, der den Lazzaro spielt,
gar nicht berücksichtigt wurde, denn er prägt mit seinem Gesicht den
gesamten Film.
Es ist auch insgesamt eine Freude, dass sich Alicia Rohrwacher auf
die Filmklassiker ihres Landes besinnt, denn "Glücklich wie Lazzaro"
erinnert durch die märchenhafte Komponente auch ein bisschen an "Das
Wunder von Mailand" von Vittorio de Sica. Man erkennt auch, dass die
Regisseurin sich von den Filmen des Franzosen Robert Bresson
inspirieren ließ. Der Film hält die Armut auf dem Land und später in der
Großstadt fest, daher wird man auch an Ermanno Olmis "Holzschuhbaum",
an "Mein Vater, mein Herr" von der Gebrüder Taviani und an Gabriele
Salvatores "Ich habe keine Angst" erinnert.
Dennoch ist Alicia Rohrwacher ein sehr eigenständiges Werk gelungen.
Die Geschichte spielt in einer Gegend in Italien, in der die Zeit
etwas stehen geblieben ist. Auf einem Gut namens Inviolata arbeiten 54
Landarbeiter auf einer Tabakfarm. Für ihre Arbeit bekommen sie kein
Geld, denn die Marquesa Alfonsina de Luna (Nicoletta Braschi) hat ihren
Bauern die Information über die Abschaffung der Naturalpacht
vorenthalten. Der italienische Staat hat bereits 1982 alle noch
bestehenden Halbpacht-Verträge in ordentliche Pacht- und
Lohnarbeitsverträge umgewandelt, doch die Gräfin macht schon lange Jahre
weiter als sei nichts geschehen. Sie beutet ihre Arbeiter wie Sklaven
aus und bereichert sich an deren Unwissen und der mangelnden Bildung.
Ihr Sohn Tancredi (Luca Chicovani, später wird er von Tommaso Ragno
gespielt) leidet unter seiner Mutter und findet es grausam, dass sie
ihre Arbeiter so extrem ausbeutet.
Einer der Arbeiter ist der junge Lazzaro (Adriano Tardiolo), der
sehr fleißig ist und jeden Befehl ausführt, den er von den Anderen
bekommt. Sein Pflichtbewusstsein und seine Güte werden von den anderen
Arbeitern auch ausgenützt, jeder erteilt ihm Befehle. Interessanterweise
macht der junge Mann dennoch einen glücklichen Eindruck, er ist mit
sehr wenig zufrieden. Auf der bergigen Anhöhe hat er sich einen kleinen
Platz geschaffen, wo er manchmal hingeht um die schöne Natur von oben zu
genießen. Bei dem Besuch der Marquesa auf ihrem Anwesen bringt sie
ihren Sohn mit. Tancredi freundet sich mit Lazzaro an, der ihm seinen
ruhigen Platz in den Bergen gezeigt hat. Dort versteckt sich der junge
Marquis und täuscht seiner Mutter vor, dass er entführt worden sei. Er
weiht Lazzaro in seinen Plan ein und sie beschließen Brüder zu werden.
Sie ahmen das Heulen eines Wolfs nach, um Kontakt mit dem Tier
aufzunehmen, der seit geraumer Zeit durch die Landschaft streift und
auch schon Schafe gerissen hat. Diese Entführung hat allerdings Folgen,
da irgendwann die Polizei auftaucht und dort diese von der Aussenwelt
abgeschiedenen Sklaven entdeckt. Die Arbeiter werden in die Stadt
gebracht. Lazzaro ist verschwunden und keiner ahnt, dass er auf dem Weg
zu Tancredi in eine Schlucht gestürzt ist...
Und wundersam taucht er Jahre später wieder auf, denn er erwacht in
dem Moment, als der Wolf ihn wahrgenommen hat. Auf Umwegen kommt er in
die Stadt, wo er auf Antonia (gespielt von Alba Rohrwacher, als junge
Antonia ist Agnese Graziani zu sehen) trifft. Die ist mehr als
verblüfft, denn Lazzaro wurde für tot gehalten und er ist kein bisschen
älter geworden. Er wird in der Stadt auch wieder auf den in die Jahre
gekommenen Tancredi treffen und ab diesem Abschnitt in der Stadt
verwandelt sich diese Geschichte vom einfachen Bauernleben in ein
Märchen - mit Rätseln, Widersprüchen, wundersamen Begebenheiten und
guten und schlechten Figuren. Die Regisseurin schafft so ein Bindeglied
zwischen der Realität und einer anderen Ebene der Wahrnehmung, die nicht
greifbar ist. Es ist auch eine traurige Geschichte über Veränderungen
geworden. So zeichnet der Film auch das Ende der Agrargesellschaft,
einhergehend mit der Migration der Menschen vom Land an die Ränder der
Städte, deren Modernität ihnen aber fremd ist und wo es ihnen nicht mal
viel besser geht als vorher. Die Hauptfigur Lazzaro hat dabei die
Aufgabe erhalten als Zeitreisender die Gegenwart mit seinen großen
freundlichen Augen zu sehen. Durch das Wiedersehen mit dem jung
gebliebenen Lazzaro keimt in den älter gewordenen Menschen wieder etwas
Hoffnung auf. Die Regisseurin selbst hat ihren Film so beschrieben "Es
ist die Geschichte eines umscheinbaren Heiligen, der keine Wunder
vollbringt, der über keine besonderen Fähigkeiten verfügt, keine
magischen Kräfte besitzt. Ein Heiliger, der in dieser Welt lebt und von
niemandem etwas Böses denkt, der immer an die Menschen glaubt. Eine
Geschichte, die über die Möglichkeit des Gutseins erzählt, die die
Menschen immer beiseite geschoben haben und die dennoch immer wieder
auftaucht. Der Film beginnt magisch mit nächtlichem Gesang der Männer
vor dem Fenster einer jungen Frau und endet auch magisch.
Bewertung: 9 von 10 Punkten.
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