Regie: Michelangelo Antonioni
Die Kamera in Augenhöhe...
Der großartige Kultfilm "Blow up" von Michelangelo Antonini zeigt
im Grunde ein Geheimnis ohne Auflösung und geht dabei sogar noch einen
Schritt weiter, indem er nach der obsessiven Untersuchung durch den
Protagonisten die Frage stellt, ob es überhaupt ein Geheimnis gab
ausserhalb dessen Vorstellungskraft. Also ein interessantes Spiel
zwischen Schein und Sein. Der Film selbst spielt im Swinging London und
dort lebt der vielbeschäftigte junge Starfotograf Thomas (David
Hemmings). David ist nicht besonders sympathisch, denn sehr schnell wird
ein großer Egoismus sichtbar. Darüberhinaus ist der Mann äusserst
gelangweilt, selbst von den vielen hübschen jungen Frauen, die er
tagtäglich ablichtet und von denen er zehn an jedem Finger haben könnte.
Mit dem aufsteigenden Model Verusha (Veruschka von Lehndorff) macht er
ein geiles Fotoshooting, bei dem man das Gefühl hat, dass es jederzeit
in einen Geschlechtsakt einmünden könnte. Dazwischen cruist David mit
seinem Cabrio durch die swingende Stadt, besucht Künstlerfreunde (Sarah
Miles/John Castle) kauft obskure Antiquitäten, besucht in der Nacht ein
Konzert der "Yardbirds"und vergnügt sich gelegentlich mit
Möchtegernmodels (Gillian Hills/Jane Birkin), die alles tun würden, um
von ihm fotografiert zu werden. Er lichtet die Schönen ab, als Ausgleich
sucht er sich aber mit seiner Kamera immer wieder Objekte in der Stadt
aus, die das Gegenteil vermitteln. Schäbige Gegenden oder arme
Existenzen werden von ihm in einem Kunstfotoband festgehalten, den er
bald veröffentlichen will. Thomas ist Teil dieser schrillen und grellen
Subkultur voller Drogen, Mode und eitlen Selbstdarstellern. Dann bringt
ein Parkbesuch, in dem er auf Motivsuche geht, eine Wendung in sein zwar
erfolgreiches, aber leeres und unbefriedigendes Leben. Er beobachtet
dabei heimlich ein Paar, die dort spazieren gehen. Als die Frau (Vanessa
Redgrave) bemerkt, dass sie fotografiert wird, stellt sie den Voyeur
zur Rede und drängt auf die Herausgabe des Films. Doch Thomas sieht
keinen Grund der Bitte nachzugeben. Noch am selben Tag besucht ihn die
Frau in seinem Atelier. Das Interesse von Thomas wird immer mehr
geweckt, auch an der geheimnisvollen Fremden, die eine Menge tun würde,
um die Bilder zu bekommen. Er gibt ihr einen falschen Film und macht
sich auf denFilm zu entwickeln. Bei der Vergrößerung (Blow up) dieser
Bilder entedeckt er mit jedem weiteren Entwickeln fatalere Details - das
verschwommene Gesicht eines Mannes im Gebüsch, einen Revolver und
schliesslich einen Körper, der verkrümmt unter einem Baum liegt. Ist
dort ein Mord geschehen ? In der Nacht fährt Thomas in den Park und
entdeckt tatsächlich diesen leblosen Körper neben einem Baum liegen...
exakt
diese Szene im Park mi dem Blätterrauschen hat Antonioni meisterhaft
ohne Musik inszeniert. Für Freunde des Suspence wird sich diese Sequenz
auf ewig ins Hirn einbrennen, so gut ist sie. Ein Film über die
Ungewissheit - ob wirklich ein Mord geschehen ist bleibt am Ende dennoch
ungewiss. Denn je extremer das Blow up, desto unschärfer wird das Motiv
dabei. Ein Opfer gibt es aber mit Sicherheit - der Fotograf, der der
Faszination seiner eigenen Bilder erliegt. Großartig diese Geschichte,
die eigentlich keine ist, aber so mit dem Zuschauer vor sich hintreibt.
Ein dynamisches Wechselspiel zwischen Subjektivität und Objektivität,
Schein und Wirklichkeit. Dabei werden die Grenzen der Realität immer
wieder auf den Kopf gestellt. Sehr effektiv dargestellt durch eine der
letzten Szenen im Park, wo es bei einem pantominischen Tennisspiel auch
um den imaginären Tennisball geht, einem Symbol für das Unfassbaren, der
Ahnung.
Antonioni arbeitet auch mit dem Kunstgriff, dass es
teilweise mehrere Minuten keinen Dialog gibt - dies erhöht aber die
Spannung für den Zuschauer. Im Grunde ist der Fotograf Thomas auch ein
Verwandter oder eine Weiterführung des Voyeurs Jeff in "Das Fenster zum
Hof" - nur mit völlig anderer Dynamik. Jeff kommt bei seinen Studien ans
Ziel, Thomas eher nicht - alles bleibt abstrakt und es bleibt die Frage
offen, wie weit man den eigenen Sinnen trauen darf. Was bedeutet dieses
Spiel mit Schatten und Lichtern ? Thomas ist vielleicht getrieben von
der Vorstellung, dass in seinen Bildern etwas zu sehen ist, was bei
oberflächlicher Betrachtungen niemandem sonst auffallen würde. Denn
gerade er - als Fotograf, der das Leben aus der Kameraperspektive
betrachtet- hat dieses Gespür für Details. Möglicherweise muss er lernen
seinen eigenen Augen zu vertrauen ohne die sichere Distanz durch die
Kamera zum Gegenüber.
Antonioni drehte diesen sehr
zeitgeistigen Film, der wie ein Dokument seiner Ära wirkt, im Jahr 1966
auf dem Höhepunkt der Swinging Sixties und wurde mehrfach preisgekrönt.
Der
hervorragende Film zeigt eindrücklich die Möglichkeit von Manipulation
und ist für mich einer der ganz großen Filme der 60er Jahre.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
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