Regie: Thomas Vinterberg
Täter und Opfer...
Der neue Film vom dänischen Dogma95 Mitbegründer Thomas Vinterberg heißt
"Die Jagd" und ist vielleicht sogar noch eine Spur eindringlicher als seine
bislang beste Arbeit "Das Fest" aus dem Jahr 1999. In beiden Filmen geht es um
sexuellen Mißbrauch - "Das Fest" war eine Abrechnung mit dem 60jährigen Vater,
dessen Sohn an diesem Geburtstag den Mißbrauch des Vaters an den
Kindern offenbart. In "Die Jagd" geht es um einen Lehrer, der fälschlicherweise
in den Verdacht eines Kindesmißbrauch gerät. Extrem nachhaltig ist der Schluß
des Films, bei dem die Männer tatsächlich auf eine Jagd gehen und durch eine
Sekundensequenz der Geist der Geschichte noch einmal hervorgehoben wird. Das
sollte nicht verraten werden, es ist jedenfalls ein genialer Fingergriff des
Regisseurs, ich frage mich nur, ob diese Sekunde tatsächlich das ganze Ausmaß
dieser vorangegangenen Katastrophe wiedergibt oder ob es nicht sogar ein bissel
beschönigt. Dieser Jagd ging nämlich eine menschliche Jagd und Hatz voraus, die
durch die unbedachte Äusserung eines Kindes die primitivsten Ausmaße
menschlichen Verhaltens offenbaren, alles unter dem Deckmantel gängiger Normen.
Denn beim sensiblen Thema des Kindermißbrauchs kommen auch die geheimen
Lynchwünsche der bürgerlichen Gesellschaft zu Tage. Ausgelöst durch die kleine
5järige Klara (Annika Wedderkopp), die sich gerne mit dem geschiedenen Lucas
(Mads Mikkelsen) trifft, nicht nur wegen der Liebe zu dem Hund von Lucas. Das
kleine Mädchen fühlt sich beim erwachsenen Lucas geborgen und himmelt ihn etwas
an. Lucas selbst arbeitet derzeit im Kindergarten von Grethe (Susse Wold) und
versucht als geschiedener Vater mehr Kontakt zu seinem geliebten 14jährigen Sohn
Marcus (Lasse Vogelstrom) zu bekommen, was seine Exfrau immer wieder verhindert
oder zumindest begrenzt. Klaras Eltern sind oft im Streit, Vater Theo (Thomas Bo
Larsen) ist der beste Freund von Lucas - seit Kindertagen. Aus Eifersucht
behauptet die kleine Klara, dass Lucas ihr sein Geschlechtsteil gezeigt hat.
Grethe reagiert zunächst auf diese Äußerung irritiert, sie zettelt aber sehr
schnell den Rufmord an, indem sie dem Beschuldigten keine Möglichkeit der
Rechtfertigung gibt, sondern pädagogisch korrekt das Kind befragt, allerdings so
subjektiv, weil der Täter schon feststeht und weil Kinder ja nie lügen können.
So wird aus begründeter Angst eine hysterische Hexenjagd mit starken Tendenzen
zur Selbstjustiz....
Obwohl man ja schon anmerken muss, dass Mads Mikkelsen gefühlt inzwischen
in jeder 3. europäischen Kinoproduktion auftaucht - dieses Mal wird er seinem
guten Ruf als großer Schauspieler mehr als gerecht. Die Rolle des Lehrers Lucas
spielt er sagenhaft gut, der Film brachte ihn in diesem Jahr die dritte
Nominierung als bester Schauspieler für den europäischen Filmpreis ein - er
musste sich allerdings von Altstar Jean Louis Trintignant in Hanekes "Liebe"
geschlagen geben. "Die Jagd" ist ein sehr bedrückender, atmosphärisch
unglaublich dichter Film über die Auswüchse bürgerlicher Gerechtigkeit. Der
vermeintliche Täter wird zum Opfer, weil diese Dynamik weitere Täter
hervorbringt.
Bewertung: 8 von 10 Punkten.
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