Mittwoch, 2. Oktober 2019
Wilde Herzen
Regie: Andre Techine
Der Sommer von 62...
Der Coming of Age Film "Wilde Herzen" aus dem Jahr 1994 ist Andre Techines bester Film und sein Meisterwerk. Er wurde von den Franzosen ins Oscar-Rennen um den besten Auslandsfilm geschickt, erreichte jedoch nicht die Endauswahl der fünf offiziellen Nominierungen. Vielleicht lag es an der starken Konkurrenz wie "Erdbeer und Schokolade" (Tomas Alea & Juan Tabio, Kuba) "Farinelli" (Gerard Corbieau, Belgien), "Eat Drink Man woman" (Ang Lee, Taiwan), "Vor dem Regen" (Milco Manchevski, Mazedonien) und "Die Sonne, die uns täuscht" (Nikita Michalkow, Russland), dass dieser hervorragende Jugendfilm den Kürzeren zog. Wenn ich aber aus diesen sechs den besten Film auswählen müsste, dann wäre es mit Sicherheit "Wilde Herzen".
Immerhin sahnte der Film bei der Cesar Verleihung überraschend ab, wo eine noch stärkere Konkurrenz mit "Drei Farben Rot", "Die Batholomäusnacht" oder "Leon der Profi" vertreten war. Insgesamt viermal durfte am Abend des 25. Februar 1995 gejubelt werden. "Wilde Herzen" wurde Film des Jahres und Techine gewann sowohl den Regie- als auch den Drehbuchpreis. Die junge Elodie Bouchez wurde völlig zu Recht als beste Newcomerin ausgezeichnet. Ihre drei männlichen Mitspieler Frederic Gorny, Gael Morel und Stephane Rideau wurden immerhin nominiert.
Die unspektakuläre Alltagsgeschichte von vier Internatsschülern spielt im Jahr 1962 und ist daher auch unterlegt mit der Musik dieser Zeit. "Smoke gets in your eyes" von The Platters, "Runaway" von Del Shanno, "Lets twist again" von Chubby Checker oder "Barbara Ann" sollen an diese Zeit erinnern und diesen Sommer 1962 im Südwesten Frankreichs für den Zuschauer lebendig werden lassen. Und dies gelingt dem Regisseur einfach vortrefflich. "Wilde Herzen" hat genau den richtigen Anteil von Poesie und Melancholie, der den Zuschauer begeistert.
Francois (Gael Morel) ist ein schüchterner junger Typ, der die meiste Zeit mit seiner Freundin Maite (Elodie Bouchez) verbringt. Man könnte die beiden Teenager für Verliebte halten, doch Francois hat nicht unbedingt großes Interesse mit Maite zu schlafen. Er arbeitet an seinem Abitur und in der Freizeit liest er viel, geht gerne ins Kino und fachsimpelt gerne über Filme und Literatur. Maites Mutter (Michele Moretti) ist Francois Französischlehrerin und überzeugte Kommunistin. Im Internat lernt Francois Serge (Stephane Rideau) kenne, einen Bauernjungen. Dessen Bruder Pierre (Erik Kreikenmayer) feiert gerade Hochzeit, ein paar Tage später soll der Soldat wieder nach Algerien. Er fragt seine frühere Lehrerin an seiner Hochzeit, ob sie ihn versteckt, weil er vorhat Fahnenflucht zu begehen. Dies lehnt Madame Alvarez allerdings entschieden ab. Francois hat da ganz andere Sorgen, denn er hat bemerkt, dass ihm Serge nicht mehr aus dem Kopf geht. Eines Nacht schlich sich dieser zu Francois in den Schlafsaal, nach der Unterhaltung kam es zum Sex. Was für Serge eine eimalige Sache war, ist für Francois viel mehr. Es wird ein Coming out Denn auch der neue in der Klasse, der etwas arrogante Henri Mariani (Frederic Gorny), der offen gegen eine Unabhängigkeit Algeriens ist und OAS Unterstützer ist, interessiert ihn sehr. Durch Francois lernt Serge auch Maite kennen. Sie lässt ihn abblitzen. Und Maite lernt den politisch völlig entgegengesetzt stehenden Henri kennen. Am idyllischen Ufer der Garonne erleben sie die letzten Tage ihrer Schulzeit...
Techine schuf auch ein Plädoyer für die Jugend, die in ihren Meinung noch nicht verhärtet ist und gerne auch ausprobiert. Sie haben zwar auch hartnäckige Positionen, sind aber in der Lage zu flexibleren Einschätzungen zu gelangen.
Mit kleinen Gesten erzielt der Film große Wirkung. Man sieht das Glück dieser vier Teenager, ihre Unefangenheit und die Suche nach Nähe zum Anderen. Zeit des Aufbruchs, Zeit des Erwachsenwerdens, Reife-Prüfung: das sind bevorzugte Themen von Regisseur André Téchiné. In "Wilde Herzen" bringt er Privates und Politisches in einer einzigartigen Mischung von Spontaneität und Melodram zusammen.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
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Ein schöner Film, der die Stimmung dieser Zeit gut vermittelt. Trotzdem handwerklich ein bisschen schlampig. "Barbara Ann" von den Beach Boys wurde erst 1965 veröffentlicht. In einem Film, der 1962 spielt, ist dieser Song fehl am Platz.
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