Anne und Muriel...
"Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent" ist ein Film
von Francois Truffaut aus dem Jahr 1971, der sehr stark an "Jules und
Jim" erinnert. Kein Wunder, denn beides sind Romane von Henir-Pierre
Roche mit einem kleinen Unterschied. "Jules und Jim" ist die Geschichte
zweier Freunde, die während eines großen Teils ihres Lebens die gleiche
Frau lieben; in "Zwei Mädchen aus Wales und ihre Liebe zum Kontinent"
wird derselbe Mann zwanzig Jahre lang von zwei Schwestern geliebt.
Truffaut hat den Film mit sehr viel Poesie angereichert und zeigt uns
die Herzensregungen dreier junger, romantischer Leute, die über eine
lange Zeit hin eine Leidenschaft erleben".
Die Geschichte führt den Zuschauer zurück ins Paris der
Jahrhuntertwende, dort lernt der Franzose Claude Roc (Jean-Pierre Leaud)
die junge Engländerin Anne Brown (Kiki Markham) kennen. Annes Mutter
(Sylvia Marriot) und Claudes Mutter (Marie Mansart) sind Freundinnen.
Auch Claude versteht sich auf Anhieb mit dem englischen Mädchen, denn
sie teilen die gleichen Hobbys. So lädt Anne ihn in ihre Heimat nach
Wales ein. Dort, direkt an der Küste, hat die verwitwete Mrs. Brown ein
Haus. Und Anne hat eine zwei Jahre jüngere Schwester, die Muriel (Stacey
Tendeter) heißt. Muriel ist puritanisch, eher scheu und ständig
Probleme mit den Augen, weil sie auch tief in der Nacht viel schreibt.
Claude hat das Gefühl, dass Anne ihre Schwester mit ihm zusammenbringen
will. Und tatsächlich verliebt sich Claude in Muriel. Die ist
unschlüssig und könnte sich dann doch den Heiratsantrag, den Claude
macht, mit "Ja" beantworten. Mrs. Browm hält ihre Tochter noch für zu
unreif und so beschließen beide Mütter den Liebenden eine einjährige
Bedenkzeit aufzuerlegen. In dieser Zeit sollen sich die beiden auch
nicht schreiben. Wenn die Liebe nach einem Jahr noch so groß ist, dann
gäbe es keine Einwände mehr in eine Vermählung. Das Jahr hat es aber in
sich. Muriel wird wankend und auch Claude, der in Paris eine Menge
Damenbekanntschaften macht, nimmt Abstand von seinem Antrag. Stattdessen
trifft er dort auch auf Anne, die sich in ihn verliebt und die beiden
gehen eine heimliche Liebschaft ein. Muriel scheint vergessen. Doch als
Claude Muriel nach einiger Zeit wiedertrifft, scheint die alte Liebe
sofort wieder aufzuflammen. Als Anne von ihrem Verhältnis mit Claude
erzählt, kehren beide Schwestern nach Wales zurück. Dann stirbt Anne an
Tuberkulose. Jahre später treffen sich Claude und Muriel noch einmal.
Sie lieben sich in einer Nacht und am Morgen danach trennen sie sich für
immer...
Der Zuschauer wird mit einer sehr poetischen Liebesgeschichte
konfrontiert, in der die Gefühle zuerst klar und eindeutig sind, dann
aber unter dem Eindruck vieler anderer Einflüsse wieder an Stärke
verlieren und dann doch noch einmal ganz groß werden. Mit der
romantischen Musik von Georges Delerue wurde der Film bei seinem
Kinostart in Frankreich von annähernd einer halben Million Franzosen
gesehen. Superb wie immer sind die Bildkompositionen von Nestor
Almendros, einer der größten Kameramänner der Filmgeschichte. Er sollte
ein paar Jahre später für seine überwältigene Leistung in "In der Glut
des Südens" mit dem Oscar geehrt werden. Verglichen mit einigen seiner
unvergesslichen Meisterwerken ist "Zwei Mädchen aus Wales" heute beinahe
in Vergessenheit geraten. Schade, denn hier ist ihm ein sehr schöner,
aber auch trauriger Film gelungen über den Verlust der großen Liebe, der
großen Leidenschaft - am Schluß steht aber das Ende und auch der Tod.
Bewertung: 8 von 10 Punkten.
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