Regie: Johannes Schaaf
Ein Schuß in die Freiheit...
Westberlin, irgendwann in den 60er Jahren: Der 16jährige Benno
(Christoph Wackernagel) lebt in einem Jugendheim. Irgendwie ist er an
eine Knarre gekommen, die ihm die anderen Jungs gerne abnehmen würden.
Doch er hat sie versteckt. Seine Heimgenossen sind nicht zimperlich, mit
einem Drillbohrer soll er soweit gebracht werden, dass er das Versteck
der Pistole verrät. Bevor er richtig verletzt wird, geht ein Erzieher
dazwischen. Das Glück könnte es sogar gut meinen mit dem schwer
erziehbaren Heimkind. Denn das sozial engagierte Fabrikantenehepaar
Lohmann (Alexander May/Rosemarie Fendel) adoptiert ihn. Es ist eine
völlig andere, sehr fremde Umgebung in die Benny hineingeworfen wird.
Die neuen Eltern gehen sehr mild mit ihm um, die Fürsorglichkeit wird
sehr groß geschrieben und für alles herrscht nun großes Verständnis.
Lohmann ist gut situiert, er betreibt eine kleine Mosaikfabrik in der
Nähe der Berliner Mauer. Engagiert versucht der Mann Benny bürgerliche
Verhaltensregeln, Moralverständnis und sogar deutsche Geschichte
beizubringen. Neben Benny gehört auch die junge Gaby (Helga Anders) zur
Familie, auch sie wurde von den Lohmanns angenommen. Benno kann aber
weiterhin kein Fuß ins bürgerliche Leben fassen. Die begonnene Lehre als
Koch ist ihm zuwider und er geht schon am nächsten Tag nicht mehr hin.
Statdessen hängt er mit dem Kleinkriminellen Sigi (Heinz Meier) rum, der
ihm sein Motorrad aufmotzt und ihn mit ins Autokino nimmt. Zuhause hat
der Adotivvater wieder die zündende Idee zur Integration ins bürgerliche
Leben: Er besorgt ihm einen Job bei seinem Bruder, einem Teppichhändler
(Tilo von Berlepsch). Doch ein Teppichklau, wo der Junge 100 Mark
verdient, versaut ihm auch selbstverschuldet die zweite Chance. Immerhin
kommen sich Gaby und Benny näher. Die Ersatzeltern billigen diese erste
Liebe des Jungen. Sie schlafen miteinander. Am anderen Morgen ist Gaby
verändert, für sie war das nur ein weiterer Flirt und erteilt Benny, der
ihr nachläuft, eine herbe Abfuhr. Desillusioniert zieht es Benno zum
Jugendhof, von dem er vorher geflohen war. Die Jungens spielen dort
Fußball und Benno will spontan mitspielen. Doch auch in diesem Moment
der Freunde wird er zum Aussenseiter abgestempelt. Er kehrt nach Hause
zurück. Dort entschließt man sich bei diesem strahlenden Frühlingswetter
zu einem schönen Spaziergang. Es kommt zur Katastrophe...
Diese
Schlußszenen treffen den Zuschauer wie mit einem Vorschlaghammer in
Johannes Schaafs großartigem Meisterwerk "Tätowierung" aus dem Jahr
1967. Ein Film, der leider inzwischen irgendwie vergessen wurde und
dennoch zu den ganz großen deutschen Filmen der 60er Jahre gehört. Dies
sah auch die Jury bei der Vergabe des deutschen Filmpreises im Jahr
1968: Der Film gewann das begehrte Filmband in Gold, auch Darsteller
Alexander May erhielt den Preis, ebenso der in Stuttgart geborene
Regisseur.
Nach diesem riesigen Kritikererfolg drehte Schaaf mit "Trotta" (1971), "Traumstadt"(1973) und "Momo" weitere Kinofilme.
Es
ist kein leichter Stoff, den Schaaf hier präsentiert. Eine Geschichte
über ein kinderloses Ehepaar, beides Gutmenschen und mit vollem Elan und
Engagement gegen soziale Ungerechtigkeit zu Gange. Sie haben die
Möglichkeit und die Beziehungen Wege zu ebnen und hinderliches Geröll
aus dem Weg zu räumen. Doch hinter dieser Maskerade verbergen sich
vielleicht auch niedere Motive, die in der Heuchelei untergehen, aber
von Schaaf in sehr subtiler und stimmiger Weise hervorgeholt werden. So
erscheint die gutbürgerliche Fassade sehr schnell als extrem künstlich
und unwirklich, man hat - trotz der betulichen und liberalen Art der
Wohlstandbürger - sehr schnell auch als Zuschauer ein unbehagliches
Gefühl bei dieser grenzenlosen Toleranz, die keine richtige Emotion
zulässt. So wünscht sich der Auserkorene sehr schnell die frühere Hölle
"Erziehungsheim" zurück, denn dort spürte er noch Widerstand.
Es
ist ein sehr provozierender, aber sehr ehrlicher, ungeschminkter Film
mit vier hervorragenden Darstellern. Christoph Wackernagel imponiert als
Aussenseiter, der seinen Platz im Leben sucht. 1977 geriert de
Darsteller, der mit der Rote Armee Sympathie sympatisierte, sogar in
Verdacht an der Entführung und späteren Ermordung von
Arbeitgeberpräsident Schleyer beteiligt gewesen zu sein. Nach seiner
Festnahme verbüßte der 1951 geborene Schauspieler eine lange Haftstrafe
bis 1987. Gelegentlich trat er danach wieder in Filmen auf, u.a. in "Der
bewegte Mann" oder "Männerpension".
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
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