Regie: Burhan Qurbani
Rostock ist überall...
Der Regisseur Burhan Qurbani wurde als Sohn afghanischer
politischer Flüchtlinge in Deutschland geboren, wo er aufwuchs. 2010
drehte er mit dem Episodenfilm "Shabada" seinen ersten Beitrag fürs
deutsche Kino. Diese Geschichte über drei junge Menschen mit
Migrationshintergrund und mit islamischen Glauben wurde im Rahmen der
Berlinale 2010 ausgezeichnet. Mit der Aufarbeitung der Ausschreitungen
in Rostock-Lichtenhagen am 24. August 1992 "Wir sind jung, wir sind
stark" gelang ihm nun der Durchbruch. Der zur Hälfte in Schwarz-Weiß
gedrehte Jugendfilm erhielt drei Nominierungen beim Deutschen Filmpreis
(Bester Film, Beste Kamera: Yoshi Heimrath, Bester Nebendarsteller: Joel
Basman), in der Rolle des Robbie konnte Basman den Preis auch gewinnen.
Er
spielt dabei einen soziopathischen Jugendlichen, der typische
Verlierer, der aber - wenn es drauf ankommt - den Zerstörungskurs völlig
destruktiv auszuleben weiß und im brennenden Sonnenblumenhaus "Wir
machen jetzt alles kaputt" zu seinem Freund Stefan meint. Dieser wird
von Jonas Nay ebenso glänzend dargestellt, er ist im Gegensatz zum
quirligen Robbie der stille Typ dieser Jugendgruppe mit wenig
Perspektive. Wobei Stefan eher als Rebell seines demokratischen Vaters
Martin (Devid Striesow) auftritt, einem sozialdemokratischen
Lokalpolitiker, der zwar die gefährliche Lage in diesen Tagen erkennt,
aber sich nicht entschließen kann Farbe zu bekennnen. Parteigenosse
Peter (Thorsten Merten) ist da konsequenter, aber er bekommt von Martin
keine Unterstützung gegen die Fremdenfeindlichkeit mit aller Konsequenz
vorzugehen, denn der schließt sich eher dem Taktierer Jürgen (Axel Pape)
an "Sollen doch die anderen machen" meint der und geht davon aus, dass
es am besten ist gar nichts zu tun, weil jede Positionierung die
politische Karriere ruinieren könnte. Von diesen parteipolitischen
Taktiken wissen die herumhängenden Jugendlichen in den hässlichen
Plattenbauten nichts. Sie haben aber keine Perspektive, sind arbeitslos
und von einigen echten Nazis wie Sandro (David Schütter). Erst gestern
hat sich Philpp (Enno Trebs), einer aus der Clique, von seinem Balkon in
die Tiefe gestürzt. Der Tod des Freundes wird von den Jugendlichen
(u.a. Paul Gäbler, Jakob Bieber, Swantje Kohlhof) diskutiert, manche
glauben nicht daran, dass Philipp sich suizidierte. Die hübsche Jennie
(Saskia Rosendahl) macht den beiden Freunden Robbie und Stefan
abwechselnd immer wieder schöne Augen. Geplagt von Langeweile lungert
diese Gruppe in einem Kleinbus herum und sind erfreut, dass endlich was
los ist. Seit Tagen kam es immer wieder zu rechtsradikalen
Ausschreitungen. Presse und Medien sind vor Ort. Viele glauben, dass die
vor den Häusern campierenden Sinti und Roma Auslöser für den Ärger auf
die Asylbewerber verantwortlich sind. Doch man irrt und hat die Rechnung
nicht mit dem Mob gemacht, der - nachdem diese Gruppe von Asylanten
evakuiert wurden - sofort ein neues Feindbild ausgemacht hat. Im
Nachbarhaus leben Vietnamesen. Die junge Arbeiterin Thao (Mai Duong
Kieu) hat eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und eine
Arbeitsstelle, sie möchte in Deutschland bleiben. Ihre Familie will aber
zurück in die Heimat. Sie sind es auch, die dann am Abend des 24.
August 1992 zu den Opfern der gewaltbereiten Jugendlichen und dem sie
anfeuernden Mob werden. "Deutschland den Deutschen ! Ausländer raus"
wird da geschrien. Ein Gegenprotest in der Menge hört sich weniger laut
an...
Der Rest ist deutsche Geschichte. Eines der dunkelsten
kapitel deutscher Zeitgeschichte, wo es meines Wissens nie eine echte
Aufarbeitung gebeben hat. Also diese Klärung von Verantwortung fand nie
statt. Beinahe will man sagen, dass man diese Ereignisse für Jahre auch
völlig unter den Tisch gekehrt hat - ähnlich wie in den ersten Jahren
des 2. Weltkriegs. Dank Burhan Qurbani wird dieses inzwischen wieder
sehr aktuelle Thema aus dem Schattendasein geholt. Er hat seinen Film in
zwei sehr unterschiedliche Hälften angelegt. Die erste Stunde ist dem
Alltag der Jugendlichen und dem Alltag der vietnamesichen Familie
gewidmet. In wunderschönen Schwarz-Weiß Bildern erinnert dieser visuell
sehr starke erste Teil nicht nur thematisch an "Hass" von Matthieu
Kassowitz. Der Film wechselt dann in Farbe um, als einer der
TV-Journalisten die Jugendgruppe vor die laufende Kamera holt und sie zu
ihrer Gesinnung befragt. Mehr noch: Der Journalist will wissen welche
Träume diese späteren Ranalierer haben. Ein Mädchen gibt an, dass sie
jetzt nach dem Mauerfall zwar frei sind, aber auch alleine. Man hat dem
Film vorgeworfen, dass er sein Thema zu sehr auf diese Jugendlichen und
deren geplatze Lebensträume fokussiert hat, was aber m.E. als
Kritikpunkt mit dem zweiten Teil doch gar nicht mehr zutreffend ist. In
Farbe wird die Anarchie in Szene gesetzt. Dabei werden einige dieser
Sequenzen mit einer John Carpenter ähnlichen Endzeitstimmungsmusik
untermalt. Dieser Soundtrack unterstreicht die Angst vor der Unberechenbarkeit der
Einzelnen und die noch größere Furcht vor einer gesichtslosen Masse, die in Carpenters "Assault" genauso anonym auftritt. . Die Jugendlichen als Erfüllungsgehilfen hat der Regisseur in Nahaufnahmen immer wieder
eingefangen. Wenn man die Pegida Aufmärsche sieht, dann ist hier ähnlich
was von dieser Volksfeststimmung mit Lynchlust zu spüren. Mütter mit
ihren Kinderwägen, aufgebrachte Rentner, mit schaum vor dem Mund und
inmitten dieser gefährlich passiven Menge diese Nazi Jungs, die
rechtsradikale Parolen gröhlen und schließlich auch die Brandsätze
werfen. Mit diesem Bildern wirft der Filmemacher m.E. nicht nur ein
düsteres Bild auf die Täter, von denen einige wohl tatsächlich ohne
Perspektve, mit viel Hass und viel Frust ihre Aggressionen rauslassen.
Egal ob es Opfer gibt. Noch schlimmer sind diese Zuschauer, die da
rumstehen als dankbares Publikum. Mit ihrem Applaus machen sie es erst
möglich, dass die Verbrecher ihre Gewalt in die Tat umsetzen. Für mich
ein sehr wichtiger Film, der zudem mit sehr guten Darstellern besetzt
ist und nicht nur thematisch, sondern auch künstlerisch überzeugt.
Bewertung: 8 von 10 Punkten.
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