Montag, 3. August 2015

Wir sind jung, wir sind stark



























Regie: Burhan Qurbani

Rostock ist überall...

Der Regisseur Burhan Qurbani wurde als Sohn afghanischer politischer Flüchtlinge in Deutschland geboren, wo er aufwuchs. 2010 drehte er mit dem Episodenfilm "Shabada" seinen ersten Beitrag fürs deutsche Kino. Diese Geschichte über drei junge Menschen mit Migrationshintergrund und mit islamischen Glauben wurde im Rahmen der Berlinale 2010 ausgezeichnet. Mit der Aufarbeitung der Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen am 24. August 1992 "Wir sind jung, wir sind stark" gelang ihm nun der Durchbruch. Der zur Hälfte in Schwarz-Weiß gedrehte Jugendfilm erhielt drei Nominierungen beim Deutschen Filmpreis (Bester Film, Beste Kamera: Yoshi Heimrath, Bester Nebendarsteller: Joel Basman), in der Rolle des Robbie konnte Basman den Preis auch gewinnen.
Er spielt dabei einen soziopathischen Jugendlichen, der typische Verlierer, der aber - wenn es drauf ankommt - den Zerstörungskurs völlig destruktiv auszuleben weiß und im brennenden Sonnenblumenhaus "Wir machen jetzt alles kaputt"  zu seinem Freund  Stefan meint. Dieser wird von Jonas Nay ebenso glänzend dargestellt, er ist im Gegensatz zum quirligen Robbie der stille Typ dieser Jugendgruppe mit wenig Perspektive. Wobei Stefan eher als Rebell seines demokratischen Vaters Martin (Devid Striesow) auftritt, einem sozialdemokratischen Lokalpolitiker, der zwar die gefährliche Lage in diesen Tagen erkennt, aber sich nicht entschließen kann Farbe zu bekennnen. Parteigenosse Peter (Thorsten Merten) ist da konsequenter, aber er bekommt von Martin keine Unterstützung gegen die Fremdenfeindlichkeit mit aller Konsequenz vorzugehen, denn der schließt sich eher dem Taktierer Jürgen (Axel Pape) an "Sollen doch die anderen machen" meint der und geht davon aus, dass es am besten ist gar nichts zu tun, weil jede Positionierung die politische Karriere ruinieren könnte. Von diesen parteipolitischen Taktiken wissen die herumhängenden Jugendlichen in den hässlichen Plattenbauten nichts. Sie haben aber keine Perspektive, sind arbeitslos und von einigen echten Nazis wie Sandro (David Schütter). Erst gestern hat sich Philpp (Enno Trebs), einer aus der Clique, von seinem Balkon in die Tiefe gestürzt. Der Tod des Freundes wird von den Jugendlichen (u.a. Paul Gäbler, Jakob Bieber, Swantje Kohlhof) diskutiert, manche glauben nicht daran, dass Philipp sich suizidierte. Die hübsche Jennie (Saskia Rosendahl) macht den beiden Freunden Robbie und Stefan abwechselnd immer wieder schöne Augen. Geplagt von Langeweile lungert diese Gruppe in einem Kleinbus herum und sind erfreut, dass endlich was los ist. Seit Tagen kam es immer wieder zu rechtsradikalen Ausschreitungen. Presse und Medien sind vor Ort. Viele glauben, dass die vor den Häusern campierenden Sinti und Roma Auslöser für den Ärger auf die Asylbewerber verantwortlich sind. Doch man irrt und hat die Rechnung nicht mit dem Mob gemacht, der - nachdem diese Gruppe von Asylanten evakuiert wurden - sofort ein neues Feindbild ausgemacht hat. Im Nachbarhaus leben Vietnamesen. Die junge Arbeiterin Thao (Mai Duong Kieu) hat eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und eine Arbeitsstelle, sie möchte in Deutschland bleiben. Ihre Familie will aber zurück in die Heimat. Sie sind es auch, die dann am Abend des 24. August 1992 zu den Opfern der gewaltbereiten Jugendlichen und dem sie anfeuernden Mob werden. "Deutschland den Deutschen ! Ausländer raus" wird da geschrien. Ein Gegenprotest in der Menge hört sich weniger laut an...



 Der Rest ist deutsche Geschichte. Eines der dunkelsten kapitel deutscher Zeitgeschichte, wo es meines Wissens nie eine echte Aufarbeitung gebeben hat. Also diese Klärung von Verantwortung fand nie statt. Beinahe will man sagen, dass man diese Ereignisse für Jahre auch völlig unter den Tisch gekehrt hat - ähnlich wie in den ersten Jahren des 2. Weltkriegs. Dank Burhan Qurbani wird dieses inzwischen wieder sehr aktuelle Thema aus dem Schattendasein geholt. Er hat seinen Film in zwei sehr unterschiedliche Hälften angelegt. Die erste Stunde ist dem Alltag der Jugendlichen und dem Alltag der vietnamesichen Familie gewidmet. In wunderschönen Schwarz-Weiß Bildern erinnert dieser visuell sehr starke erste Teil nicht nur thematisch an "Hass" von Matthieu Kassowitz. Der Film wechselt dann in Farbe um, als einer der TV-Journalisten die Jugendgruppe vor die laufende Kamera holt und sie zu ihrer Gesinnung befragt. Mehr noch: Der Journalist will wissen welche Träume diese späteren Ranalierer haben. Ein Mädchen gibt an, dass sie jetzt nach dem Mauerfall zwar frei sind, aber auch alleine. Man hat dem Film vorgeworfen, dass er sein Thema zu sehr auf diese Jugendlichen und deren geplatze Lebensträume fokussiert hat, was aber m.E. als Kritikpunkt mit dem zweiten Teil doch gar nicht mehr zutreffend ist. In Farbe wird die Anarchie in Szene gesetzt. Dabei werden einige dieser Sequenzen mit einer John Carpenter ähnlichen Endzeitstimmungsmusik untermalt. Dieser Soundtrack unterstreicht die Angst vor der Unberechenbarkeit der Einzelnen und die noch größere Furcht vor einer gesichtslosen Masse, die in Carpenters "Assault" genauso anonym auftritt. . Die Jugendlichen als Erfüllungsgehilfen  hat der Regisseur in Nahaufnahmen immer wieder eingefangen. Wenn man die Pegida Aufmärsche sieht, dann ist hier ähnlich was von dieser Volksfeststimmung mit Lynchlust zu spüren. Mütter mit ihren Kinderwägen, aufgebrachte Rentner, mit schaum vor dem Mund und inmitten dieser gefährlich passiven Menge diese Nazi Jungs, die rechtsradikale Parolen gröhlen und schließlich auch die Brandsätze werfen. Mit diesem Bildern wirft der Filmemacher m.E. nicht nur ein düsteres Bild auf die Täter, von denen einige wohl tatsächlich ohne Perspektve, mit viel Hass und viel Frust ihre Aggressionen rauslassen. Egal ob es Opfer gibt. Noch schlimmer sind diese Zuschauer, die da rumstehen als dankbares Publikum. Mit ihrem Applaus machen sie es erst möglich, dass die Verbrecher ihre Gewalt in die Tat umsetzen. Für mich ein sehr wichtiger Film, der zudem mit sehr guten Darstellern besetzt ist und nicht nur thematisch, sondern auch künstlerisch überzeugt. 



Bewertung: 8 von 10 Punkten.

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