Regie: Bertrand Tavernier
Die Sehnuscht und das Warten auf den Vater...
Obwohl Geschichten des Mittelalters schon öfters im Kino zu
Kassenhits wurden (Flesh and Blood, Der Name der Rose, Der Medicus;
Königreich der Himmel) sind die Filme, die sich mit dieser Epoche
beschäftigen, doch sehr rar gesät. Und noch rarer sind die filmschen
Vertreter, die dieses Zeitalter zwischen tiefster Barbarei bis hin zur
tiefsten Gottesfurcht, so atmospährisch stark eingefangen haben, wie es
dem großen schwedischen Filmemacher Ingmar Bergman mit "Das siebente
Siegel" (1957) und "Die Jungfrauenquelle" (1960) gelang. Es gibt sie
aber diese Meisterwerke. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang erscheint
mir natürlich die erotische Trilogie von Pasolini, mit "Decamerone" und
"Canterbury Tales" spielen zwei dieser Filme im europäischen
Mittelalter. Es waren aber in den letzten Jahrzehnten vor allem die
kleinen intimeren Filme, die es schafften diese faszinierende Zeit
glaubwürdig aufleben zu lassen. Ich erinnere da an John Hustons "Reise
mit der Liebe und dem Tod", Juan Bunuels "Eleonore", Andrej Wadjas
wunderbarer Klassiker "Die Pforten des Paradieses", der wohl einzige
Film über einen Kinderkreuzzug . In den letzten Jahren schufen vor allem
nordische Regisseure gute Beiträge wie "Escape" von Roar Uthaug oder
"Wahlalla Rising" von Nicolas Winding Refn geweisen.
Dank
Pidax ist nun endlich mit dem 1987 entstandenen "Die Passion der
Beatrice" einer der besten Vertreter seiner Sparte auf einer
deutschsprachigen DVD erschienen. Der Film von Bertrand Tavernier
(Uhrmacher von St. Paul, Der Richter und sein Mörder) ist sehr spröde
und extrem brutale Geschichte. Nichtsdestotrotz ist ihm aber mit diesem
1987 erschienenen Film ein wahres Meisterwerk in dieser Sparte der
Mittelalterfilme geglückt. Dabei wollte der französische Regisseur nun
gar kein wissenschaftlich exaktes Bild dieser Epoche entwerfen. Vielmehr
ging es ihm darum die Vision eines finsteren Zeitalter lebendig werden
zu lassen, in der sich die Protagonisten behaupten müssen. Es ist eine
grausame Welt in der sie leben. Der Mensch dieser Zeit des ausgehenden
Mittelalters (14. Jahrhundert) muss sich zwischen Barbarei und
Zivilisation entscheiden. Für diese Geschichte lieferte der Kameramann
Bruno de Keyzer auch atemberaubende Bilder, die das Szenario umso
beklemmender werden lassen.
Einer, der in dieser Zeit
schon als Kind eine große Verzweiflung und innere Zerissenheit in sich
trägt ist der kleine Junge Francois de Cortemant (Sebastien Konieczny),
der auf einer Burg aufwächst und dessen Vater (Vincent Saint-Ouen) in
den Krieg zieht. Als die untreue Mutter versucht mit einem anderen Mann
ins Bett zu steigen, verteidigt der Zehnjährige Knirps deren Ehre und
ersticht den Mann mit einem Dolch. Der kleine Junge hält öfters oben auf
dem Aussichtsturm Ausschau nach seinem geliebten Vater, später wird er
sogar sagen, dass er einmal 3 Monate ohne Pause auf diesem Turm
verbrachte. Der Ort scheint auch ein stiller Rückzugsort zu sein in
diesen kriegerischen Zeiten. Doch sein Vater kehrt nicht mehr zurück.
Eines Tages überbringt man die Nachricht von seinem Tod.
Viele Jahre später ist Francois de Courtemant (Bernard-Pierre
Donnadieu) mit seinem Sohn Arnaud (Nils Tavernier) selbst in den Krieg
gezogen, doch beide landeten in englischer Gefangenschaft. Nun wartet
Francois starke und tapfere Tochter Beatrice (Julie Delpy) auf die
Heimkehr der beiden geliebten Menschen. Um die beiden schneller aus der
Gefangenschaft zu befreien, bleibt der jungen Frau, die mit ihrer
Großmutter (Monique Chaumette), einem Geistlichen und den vielen
Kmechten und Mägden in der Burg lebt, nichts anderes übrig als weite
Teile des Familienvermögens zu verkaufen, um seine Freilassung zu
bewirken. Das beträchtliche
Lösegeld konnte nur durch die Veräußerung großer Ländereien und des
gesamten Interieurs der heimatlichen Burg bereitgestellt werden. Es gab
kaum Bares auf Rittersitzen. Die Pest hatte Europa zu dieser Zeit
sowieso schon entvölkert, es gab nur noch wenige Menschen, die die
brachliegenden Äcker zu bewirtschaften in der Lage waren.
Doch
als die beiden Männer die heimatliche Burg endlich wieder betreten,
brechen für die junge Frau grauenhafte Zeiten an: Der Vater ist nicht
mehr derselbe. Durch das Erlebte in seinem Wesen verändert, hart und
zynisch, brutal und selbstquälerisch, errichtet er auf der Burg ein
Regiment des Schreckens. Zunächst einmal bekommt Arnaud die Tyrannei des
Vaters grausam zu spüren. In seiner Burg errichtet er eine surreale Schreckensherrschaft, wird zum Raubritter und gar inzestuösen Vergewaltiger. Am Ende steht Verzweiflung, Hass und Tod...
Tavernier
inszenierte diesen Film zuerst sehr ruhig und stellt eine starke innige
Verbundenheit zwischen Vater und seiner Tochter dar, die genauso auf
ihn wartet, wie er damals als kleiner Junge auf seinen Vater. Während
Francois den Tod des Vaters erfahren muss, meint es - wie es scheint -
der liebe Gott gut mit Beatrice. Denn sowohl Vater als auch Bruder
kehren zurück. Der sanfte und hübsche Bruder aber als Feigling, wie der
Vater sagt, der ihn bei jeder Gelegenheit kränkt und demütigt. Und der
Vater selbst als unberechenbares Monster, der für sich selbst und für
seine Mitmenschen den Zerströrungskurs gewählt hat. Sein eigenes
Versagen im Leben projeziert der kluge, aber inzwischen eiskalte Mann
auf seine Umgebung. Er wird zum Wahnsinnigen. Am Ende steht die
Tragödie. Tavernier zeichnete ein Bild dieser Epoche und der Menschen,
die mit den Genreverwandten aus Hollywood nur wenig Gemeinsamkeit
aufweise.
Schon die Burg steht da als saukalter und
zügiger Steinklotz mit Kmain und ein paar kargen Werkstätten,
spärlichster Gemüsegarten auf dem Hof, zwischen dem die Haustiere ihr
Revier haben. Die Leute, die für die Familie arbeiten, tragen als
Leibeigene Lumpen auf dem Leib, man sieht die fauligen Zahnstumpen, wenn
sie reden.
Die Religion oder die Gottesfurcht ist
allgegenwärtig, aber man erkennt auch, wie sehr die Menschen dieser Zeit
erdrückt. Der Film nimmt sich sehr viel Zeit dafür, diese Zeit wieder
auferstehen zu lassen. Ganz beiläufig gibt die Magd einen Kommentar dazu
ab, wie sich Jungen und Mädchen unterscheiden. Ganz nebenbei wird eine
Hexenverbrennung gezeigt. Diese Hinrichtung mutet wie eine bäuerliche
Lynchjustiz an.
Oder ein weibliches Neugeborenes, von
seiner Mutter getötet und im Schnee liegen gelassen, bleibt unbestattet
zurück, weil Mädchen keine Seele haben.
Die beiden
Hauptfiguren sind starke Persönlichkeiten. Selbst aus dem brutalen und
gequälten Ritter de Cortemar schimmert immer wieder Sensibiliät,
Verletzlichkeit und die Sehsucht nach Erlsöung durch. Diese Absolution
bzw. seine Erlösung durch den Tod wird am Ende von seiner ebenso starken
Tochter herbeigeführt. Das Mädchen, dass um ihren geliebten Vater so
sehr gekämpft hat, bis dieser über sie hergefallen ist und so jede
Hoffnung für Liebe zunichte gemacht hat. Er wird sie in der letzten
Sekunde fragen, ob sie ihn irgendwann mal geliebt habe. Sie wird dies
verneinen.
Für mich ein Meisterwerk.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
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