Samstag, 1. August 2015

Die Passion der Beatrice

























Regie: Bertrand Tavernier

Die Sehnuscht und das Warten auf den Vater...

Obwohl Geschichten des Mittelalters schon öfters im Kino zu Kassenhits wurden (Flesh and Blood, Der Name der Rose, Der Medicus; Königreich der Himmel) sind die Filme, die sich mit dieser Epoche beschäftigen, doch sehr rar gesät. Und noch rarer sind die filmschen Vertreter, die dieses Zeitalter zwischen tiefster Barbarei bis hin zur tiefsten Gottesfurcht, so atmospährisch stark eingefangen haben, wie es dem großen schwedischen Filmemacher Ingmar Bergman mit "Das siebente Siegel" (1957) und "Die Jungfrauenquelle" (1960) gelang. Es gibt sie aber diese Meisterwerke. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang erscheint mir natürlich die erotische Trilogie von Pasolini, mit  "Decamerone" und "Canterbury Tales" spielen zwei dieser Filme im europäischen Mittelalter. Es waren aber in den letzten Jahrzehnten vor allem die kleinen intimeren Filme, die es schafften diese faszinierende Zeit glaubwürdig aufleben zu lassen. Ich erinnere da an John Hustons "Reise mit der Liebe und dem Tod", Juan Bunuels "Eleonore", Andrej Wadjas wunderbarer Klassiker "Die Pforten des Paradieses", der wohl einzige Film über einen Kinderkreuzzug . In den letzten Jahren schufen vor allem nordische Regisseure gute Beiträge wie "Escape" von Roar Uthaug oder "Wahlalla Rising" von Nicolas Winding Refn geweisen.
Dank Pidax ist nun endlich mit dem 1987 entstandenen "Die Passion der Beatrice" einer der besten Vertreter seiner Sparte auf einer deutschsprachigen DVD erschienen. Der Film von Bertrand Tavernier (Uhrmacher von St. Paul, Der Richter und sein Mörder) ist sehr spröde und extrem brutale Geschichte. Nichtsdestotrotz ist ihm aber mit diesem 1987 erschienenen Film ein wahres Meisterwerk in dieser Sparte der Mittelalterfilme geglückt. Dabei wollte der französische Regisseur nun gar kein wissenschaftlich exaktes Bild dieser Epoche entwerfen. Vielmehr ging es ihm darum die Vision eines finsteren Zeitalter lebendig werden zu lassen, in der sich die Protagonisten behaupten müssen. Es ist eine grausame Welt in der sie leben. Der Mensch dieser Zeit des ausgehenden Mittelalters (14. Jahrhundert) muss sich zwischen Barbarei und Zivilisation entscheiden. Für diese Geschichte lieferte der Kameramann Bruno de Keyzer auch atemberaubende Bilder, die das Szenario umso beklemmender werden lassen.
Einer, der in dieser Zeit schon als Kind eine große Verzweiflung und innere Zerissenheit in sich trägt ist der kleine Junge Francois de Cortemant (Sebastien Konieczny), der auf einer Burg aufwächst und dessen Vater (Vincent Saint-Ouen) in den Krieg zieht. Als die untreue Mutter versucht mit einem anderen Mann ins Bett zu steigen, verteidigt der Zehnjährige Knirps deren Ehre und ersticht den Mann mit einem Dolch. Der kleine Junge hält öfters oben auf dem Aussichtsturm Ausschau nach seinem geliebten Vater, später wird er sogar sagen, dass er einmal 3 Monate ohne Pause auf diesem Turm verbrachte. Der Ort scheint auch ein stiller Rückzugsort zu sein in diesen kriegerischen Zeiten. Doch sein Vater kehrt nicht mehr zurück. Eines Tages überbringt man die Nachricht von seinem Tod. 
Viele Jahre später ist Francois de Courtemant (Bernard-Pierre Donnadieu) mit seinem Sohn Arnaud (Nils Tavernier) selbst in den Krieg gezogen, doch beide landeten in englischer Gefangenschaft.  Nun wartet Francois starke und tapfere Tochter Beatrice (Julie Delpy) auf die Heimkehr der beiden geliebten Menschen. Um die beiden schneller aus der Gefangenschaft zu befreien, bleibt der jungen Frau, die mit ihrer Großmutter (Monique Chaumette), einem Geistlichen und den vielen Kmechten und Mägden in der Burg lebt, nichts anderes übrig als weite Teile des Familienvermögens zu verkaufen, um seine Freilassung zu bewirken. Das beträchtliche Lösegeld konnte nur durch die Veräußerung großer Ländereien und des gesamten Interieurs der heimatlichen Burg bereitgestellt werden. Es gab kaum Bares auf Rittersitzen. Die Pest hatte Europa zu dieser Zeit sowieso schon entvölkert, es gab nur noch wenige Menschen, die die brachliegenden Äcker zu bewirtschaften in der Lage waren.
Doch als die beiden Männer die heimatliche Burg endlich wieder betreten, brechen für die junge Frau grauenhafte Zeiten an: Der Vater ist nicht mehr derselbe. Durch das Erlebte in seinem Wesen verändert, hart und zynisch, brutal und selbstquälerisch, errichtet er auf der Burg ein Regiment des Schreckens. Zunächst einmal bekommt Arnaud die Tyrannei des Vaters grausam zu spüren. In seiner Burg errichtet er eine surreale Schreckensherrschaft, wird zum Raubritter und gar inzestuösen Vergewaltiger. Am Ende steht Verzweiflung, Hass und Tod...



Tavernier inszenierte diesen Film zuerst sehr ruhig und stellt eine starke innige Verbundenheit zwischen Vater und seiner Tochter dar, die genauso auf ihn wartet, wie er damals als kleiner Junge auf seinen Vater. Während Francois den Tod des Vaters erfahren muss, meint es - wie es scheint - der liebe Gott gut mit Beatrice. Denn sowohl Vater als auch Bruder kehren zurück. Der sanfte und hübsche Bruder aber als Feigling, wie der Vater sagt, der ihn bei jeder Gelegenheit kränkt und demütigt.  Und der Vater selbst als unberechenbares Monster, der für sich selbst und für seine Mitmenschen den Zerströrungskurs gewählt hat. Sein eigenes Versagen im Leben projeziert der kluge, aber inzwischen eiskalte Mann auf seine Umgebung. Er wird zum Wahnsinnigen. Am Ende steht die Tragödie. Tavernier zeichnete ein Bild dieser Epoche und der Menschen, die mit den Genreverwandten aus Hollywood nur wenig Gemeinsamkeit aufweise.
Schon die Burg steht da als saukalter und zügiger Steinklotz mit Kmain und ein paar kargen Werkstätten, spärlichster Gemüsegarten auf dem Hof, zwischen dem die Haustiere ihr Revier haben. Die Leute, die für die Familie arbeiten, tragen als Leibeigene Lumpen auf dem Leib, man sieht die fauligen Zahnstumpen, wenn sie reden.
Die Religion oder die Gottesfurcht ist allgegenwärtig, aber man erkennt auch, wie sehr die Menschen dieser Zeit erdrückt. Der Film nimmt sich sehr viel Zeit dafür, diese Zeit wieder auferstehen zu lassen. Ganz beiläufig gibt die Magd einen Kommentar dazu ab, wie sich Jungen und Mädchen unterscheiden. Ganz nebenbei wird eine Hexenverbrennung gezeigt. Diese Hinrichtung mutet wie eine bäuerliche Lynchjustiz an.
Oder ein weibliches Neugeborenes, von seiner Mutter getötet und im Schnee liegen gelassen, bleibt unbestattet zurück, weil Mädchen keine Seele haben.
Die beiden Hauptfiguren sind starke Persönlichkeiten. Selbst aus dem brutalen und gequälten Ritter de Cortemar schimmert immer wieder Sensibiliät, Verletzlichkeit und die Sehsucht nach Erlsöung durch. Diese Absolution bzw. seine Erlösung durch den Tod wird am Ende von seiner ebenso starken Tochter herbeigeführt. Das Mädchen, dass um ihren geliebten Vater so sehr gekämpft hat, bis dieser über sie hergefallen ist und so jede Hoffnung für Liebe zunichte gemacht hat. Er wird sie in der letzten Sekunde fragen, ob sie ihn irgendwann mal geliebt habe. Sie wird dies verneinen.
Für mich ein Meisterwerk.




Bewertung: 10 von 10 Punkten.

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