Mittwoch, 25. Februar 2015

Nordsee ist Mordsee


























Regie: Hark Bohm

Mit einem Segelboot abhauen...

Hark Bohms Jugendfilm "Nordsee ist Mordsee" aus dem Jahr 1976 ist für mich nach wie vor einer der besten deutschen Filme aller Zeiten.  Der Film lief damals recht erfolgreich im Kino, aber die FSK sorgte gleichzeitig für einen Skandal, weil sie dem Film die Freigabe ab 12 Jahren versagte. Viele Kritiker sahen zu Recht, dass man hier einen bedenklichen Jugendschutz pflege, wenn man die Augen vor der Wirklichkeit verschließt und der eigentlichen Zielgruppe nicht zeigen möchte, dass es Wege gibt sich gegen Bestehendes zu wehren, wie es die beiden Protagonisten im Film tun.  Inzwischen ist der Film natürlich ab 12 Jahren freigegeben. Der Hamburger Filmemacher Hark Bohm drehte in den 70er Jahren einige Jugendfilme, meistens spielten seine Adoptiv- und Pflegekinder eine Hauptrolle. So auch hier in "Nordsee ist Mordsee" der damals 14jährige Uwe Enkelmann, der später von der Familie Bohm adoptiert wurde und  Dschinghis Bowakow (heute Psychologe), der 17 Jahre jüngere Bruder seiner Frau. Wie im Film selbst hatten die beiden Jungs am Anfang große Probleme miteinander. Die richtigen Eltern von Uwe Enkelmann waren beide psychisch krank und der Junge steckte damals voller Vorurteile. Bald entwickelte sich aber eine Freundschaft untereinander...genauso wie im Film selbst, der viellleicht deshalb so gut ist, weil er durchgehend glaubwürdig bleibt. Bohms Filme sind leider im Laufe der Zeit etwas in Vergessenheit geraten, sei es "Tschetan, der Indianerjunge", "Moritz, lieber Moritz" und der etwas später entstandene "Yasemin", der 1989 sogar das Filmband in Gold erringen konnte.  Am Anfang des Films sieht man Bilder von Hamburg aus der Vogelperspektive, der Zuschauer bekommt einen ersten atmosphärisch dichten Eindruck, der mit Udo Lindenbergs großartigen Liedern noch stärker unterstrichen wird. Dort im sozialen Umfeld auf der Elbinsel Hamburg-Wilhelmsburg wächst der 14jährige Möchtegern-Rocker Uwe Schiedrowsky (Uwe Enkelmann) auf. Der Vater (Marquard Bohm) arbeitet im Hafen, in der Freizeit trinkt er viel zu viel und lässt seinen Frust mit Schlägen an der Frau (Herma Koehn) oder an seinem Jungen aus. Wilhelmsburg ist schon damals ein Ort, an dem man lieber nicht nachs durch die Straßen läuft. Es herrscht eine große Arbeitslosigkeit und viele Menschen leben dort ohne jegliche Perspektive. Uwe schwänzt die Schule und knackt mit seiner Bande, alles Jungs und Mädels im Alter von 12 bis 14, in der Freizeit Automaten aus. Oder aber man drangsaliert den "Kanaken" Dschingis (Dschingis Bowakow), der bei seiner sehr fürsorglichen Mutter lebt. Der Junge ist ein Einzelgänger, weil keiner mit einem Ausländer was zu tun haben will, baut sich aber ein Floß und lässt dies zu Wasser. Uwe beobachtet ihn dabei und kommt später wieder mit seiner Clique. Die Kids zerstören es. Als Dschingis dies bemerkt, kommt es zum Kampf zwischen den beiden Jungs, bei dem Uwe ein Messer ins Spiel bringt, aber von dem stärkeren Dschingis besiegt wird. Dies ist auch der Beginn einer Freundschaft zweier ungleicher Aussenseiter, die sich eigentlich sehr ähnlich sind. Weil beide den Versuch wagen einen Ausbruch in die Freiheit zu starten. Weg von der öden Trostlosigkeit der Plattenbausiedlung und weg von Zuhause, wo einem das Leben wie ein Gefängnis vorkommt....


"Ich träume oft davon ein Segelboot zu klau´n und einfach abzuhau´n" heißt es im Filmsong von Udo Lindenberg, der mit seinen trotzigen wie verletzlichen Lyrics genau den sensiblen Ton des Films einfängt. Was als Sozialdrama beginnt, mündet in ein Abenteuer von Freiheit. "Nordsee ist Mordsee" erzählt die Geschichte von einer Flucht aus der Realität. In dem Moment als beide sich völlig abgelehnt fühlen, beschließen sie mit dem von ihnen gebauten Schiff "Xanadu" die Elbe hinunter zu fahren. Doch schon nach wenigen Metern, im Hamburger Hafen, zwischen den vielen riesigen Schiffen, bemerken die Youngster, dass sie mit ihrem Kahn nicht weit kommen werden. Sie klauen das kleine Segelboot "Polyp" und machen sich auf dem Weg zur Nordsee. Bohms Film ist qualitativ brilliant gemacht, die einfache aber effektive Freundschaftsgeschichte ist feinfühlig gemacht und trifft hoffentlich auch heute noch das Lebensgefühl der Heranwachsenden Generation.


Bewertung: 9,5 von 10 Punkten.

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