Regie: Xavier Dolan
Gefährliche Lust an Unterwerfung...
Xavier Dolan ist ein sehr interessanter Filmemacher. Der 1989 in
Montreal geborene Frankokanadier spielt in den meisten seiner Filme auch
die Hauptrolle, er schreibt die Drehbücher für seine Filme und
beteiligt sich auch an der Produktion.
Der junge
Filmemacher lebt offen homosexuell und schon sein erster Film "I killed
my mother" beschreibt die Beziehung eines jungen Homosexuellen mit
seiner Mutter. "Herzensbrecher" war eine Art Gay Neuauflage von
Truffauts "Jules und Jim", die franzöische Regielegende kann sicherlich
auch als eine von Dolans Inspirationsquellen angesehen werden. Mit dem
2013 entstandenen "Sag nicht, wer du bist" (im Original: Tom a la ferme)
widmet er sich erstmalig einem bisher unergründeten Genre, dem
Psychothriller. Für das subtile Kammerspiel mit Thrillerelementen
adaptierte er das Theaterstück von Michel Marc Bouchard. Der Regisseur
ist als blonder Tom zu sehen, der zur Beerdigung seines Lovers Guillaume
in die kanadische Einöde reist. Dort in der Provinz ist der
Mittzwanziger- Hipster aus der Werbebranche Montreals ein Fremdkörper
und muss sehr schnell erkennen, dass der Freund seine Homosexualität der
Familie verborgen hat. Auf der Farm lebt Guillaumes etwas weltfremde
Mutter Agathe (Lise Roy) mit ihrem älteren Sohn Francis (Pierre Ives
Cardinal), der als Einziger das Geheimnis von Guillaume kannte. Er
nötigt aber Tom sofort dazu, dass er nur den Kumpel vorzuspielen hat.
Die Lüge von der Freundin Sara (Evelyn Brochu) soll aufrechterhalten
bleiben. Mehr noch: Francis ändert seine Meinung, dass Tom sofort nach
der Beerdigung verschwinden soll. Statdessen scheint er eine helle
Freude darin zu haben seine Homophobie auch sadistisch auszuleben. Er
schlägt und erniedrigt Tom mehrmals. Doch gleichzeitig macht er Tom auch
vage Avancen. Dieser zeigt zunehmend eine gewisse Lust an der
Unterwerfung, so lässt er sich paralysiert immer mehr auf die
aggressiven und brutalen Spielchen ein..
damit gibt es eine gewisse
Ähnlichkeit zu einem weiteren, sehr interessanten Gay-Erotikthriller
"Der Fremde am See" von Alain Guiraudie, der einen schwulen Mann zeigt,
der am Baggersee einen Mord beobachtet und dennoch in der Folge eine Art
unterwürfiges Verhältnis zu dem Mörder wünscht. Dolan inszeniert die
Geschichte als schizophrenen Psychothriller in Hitchcock-Tradition,
sogar der Soundtrack erinnert etwas an "Psycho". Bereits in die ersten
Szenen als Tom mit dem Auto in die ländliche Gegend fährt, die Kamera
die Totale einfängt und man langsam die etwas abseits gelegene Farm
erkennen kann, kommt ein ungutes Gefühl auf. In jeder Szene gelingt es
Dolan durch seine unglaubliche Bildsprache die Unsicherheit einzufangen.
Tom ist hin- und hergerissen und nach einer Tanzszene in der Scheune
versucht er selbst die Dynamik zu verschärfen. Dabei ist die Figur des
Francis besonders gut gelungen, er ist sicherlich einer der
interessantesten Bösewichte im Thrillergenre der letzten Jahre. Ein
brutaler Psychopath, der intelligent genug ist und seine Handlungen
rechtfertigen kann. Der arme Tom ist nicht nur ein Opfer seiner
sexuellen Lust, er wartet darauf von seinem Peiniger missbraucht zu
werden - er sucht auch sich selbst und dieser Prozess einer
Identitätsbildung ist äusserst gefährlich. Natürlich sind die
Versatzstücke aus dem Hichcock Fundus eindeutig gegeben, aber Xavier
Dolan hat schon was sehr Eigenes daraus geschaffen. Die Atmosphäre ist
perfekt, vieles spielt sich vor den ockerfarbenen vertrockneten
Maisfeldern vor dem Haus ab.
Das kanadische Wunderkind kann
auch mit "Sag nicht, wer du bist" begeistern und mit freudiger Erwartung
ist bereits ein Remake von Hitchcocks "Cocktail für eine Leiche"
angekündigt.
Bewertung: 9 von 10 Punkten.
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