Regie: Victor Erice
Magische Kinderaugen...
Leider ist "Der Geist des Bienenstocks" (Originaltitel: El espiritu
de la colmena), ein Film des spanisches Regisseurs Victor Erice aus dem
Jahr 1973, in Deutschland weitestgehend unbekannt - dabei handelt es
sich um einen der schönsten Filme, dass das Kino jemals hervorgebracht
hat.
Ein Film über die Phantasie der Kinder und über das kindliche
Wahrnehmen der erwachsenen Welt in seiner Umgebung. Erzählt wird über
die kleinen Ängste des Alltags - dies alles hat Regisseur Victor Erice
mit viel Poesie überzogen und in wunderschöne Bilder eingebettet. Dabei
ist auch der Klangteppich von Luis de Pablo besonders gut geglückt, der
bereits im Vorspann (es werden Kinderzeichnungen präsentiert) die
einzigartigte Stimmung von "Der Geist des Bienenstocks" heraufbeschwört.
Im Laufe der Handlung wird von der Off-Stimme ein Gedicht des
belgischen Schriftstellers Maurice Materlinck rezitiert. "Jemand dem ich
kürzlich in einme meiner Glasbienenstücke die bewegung dieses Rads
gezeigt habe, das so offen lag wie das Gangrad einer Pendeluhr; jemand,
vor dessen Blick sich das unüberschaubare Treiben der Waben entblößte,
das unaufhörliche, rätselhafte und tolle Wogen der Ammen über dem
Brutraum, die von den Wachsbienen gebildeten lebendigen Stege und
Leitern, die übergreifenden Spiralen der Königin, die mannigfaltige und
unaufhörliche Betriebsamkeit der Menge, die schonungslose und nutzlose
Anstrengung, das fieberhafte Kommen und Gehen, die Schlaflosigkeit
außerhalb der bereits von künftiger Arbeit bedrängten Brutzellen, die
Ruhe des Todes selbst, ausgeschlossen aus einer Wohnstätte die weder
Kranke noch Grabmäler duldet; jemand also, der all dies zu sehen bekam,
wandte nach dem ersten Staunen alsbald den Blick ab, aus dem ich weiß
nicht was für ein betrübtes Entsetzen sprach" - der Vater (Fernando
Fernan Gomez) der beiden Mädchen Ana (Ana Torrent) und Isabel (Isabel
Telleria) ist ein Bienenzüchter. Teresa, die Mutter (Teresa Gimpera)
schreibt an einem Liebesbrief, den sie irgendwann im Verlauf der
Handlung verwirft und ins Feuer legt.
Wir sind in Spanien um 1940 und im kleinen Örtchen Hoyuelos, im
kastillischen Hochland gelegen, geht es normalerweise sehr ruhig her.
Eines Tages rollt ein Lastwagen auf den Ort zu, die Kinder freuen sich
laut - es sind die Kinoleute, die eine Leinwand, ein Projektionsgerät
und einige Filmrollen mitgebracht haben. Im Gemeindesaal wird diesmal
James Whales "Frankenstein" gezeigt, der vom Vorführer begeistert gelobt
wird. Auch die Erwachsenen des Dorfes sind alle dabei. Die Kinder
fürchten sich etwas und die kleine Ana ist besonders beeindruckt. Ihre
Fantasie beginnt sich zu entfalten, sie fragt ihre größere Schwester
Isabel warum das Monster das kleine Mädchen getötet hat und warum später
das Monster getötet wurde. Isabel findet darauf auch keine ganz
schlüssige Antwort, die Kinder malen sich aber aus, was wäre wenn ein
Geist auftauchen würde. Isabel kennt ein abgelegenes Haus, in dem sich
ein Wesen aufhalten soll. Die Kinder sind sehr offen für Figuren aus
anderen Realitäten. Irgendwann erschreckt Isabel ihre kleine Schwester
total, indem sie sich für kurze Zeit tot stellt und regungslos auf dem
Boden liegen bleibt. Dann schleicht sie sich von hinten als Monster an.
Eines Tages entdeckt Ana einen fremden, wahrscheinlich flüchtigen
Soldaten in dem verlassenen Gebäude, indem die Kinder vermuten, dass es
geistert. Sie kümmert sich um den Fremden, bringt ihm etwas zu essen und
den mantel ihres Vaters, in dem sich eine Taschenuhr befindet. Aus
dieser Begegnung entwickelt sich durch die folgenden Ereignisse ein
schweres Kindliches Trauma...
Was sehr schnell sichtbar wird ist die grandiose Kameraarbeit von
Luis Cuadrado. Der hat eine ruhige Hand für sanfte Bilder, gleitet
neugierig durch die kargen Landschaften und durchs Haus der Familie und
hat viel Zeit die rätselhafte Stimmung, Großartiges und Nebensächliches
und natürlich auch die Protagonisten selbst einzufangen. Deren Gesichter
sind sehr beredt, diese Geschichte braucht gar nicht so viel Dialog,
wirkt aber trotzdem in jedem Moment stark und liebevoll.
Im Unterricht müssen die Kinder ein Pappfigur namens Don Jose mit
fehlenden Teilen von inneren und äusseren Organen komplettieren....eine
perfekte Szene zur vorher gezeigten Kinovorführung, bei dem die Leute
des Dorfes mit dem aus Leichenteilen zusammengesetzten Monster von
Frankenstein konfrontiert wurden. Eine Art Boris Karloff Monster
erscheint später der kleinen Ana. Alles bleibt rätselhaft und
geheimnisvoll in der Schwebe. Spätere spanische Filmmeisterwerke wie
"Das Waisenhaus" oder "The Devils Backbone" haben sich sicherlich am
optischen Stil von Erices Film inspirieren lassen.
Neben der traumatischen Vergangenheit des Krieges und der Diktatur
ist Erices Film abar auch ein herausragendes Beispiel für einen Film
über Kinder als Kinogänger. Er zeigt die Wirkung dieses Mediums auf die
Zuschauer, nicht zuletzt kann man "Der Geist des Bienenstocks" als eine
perfekte Reflexion des Zusammenhangs von Kino, Wahrnehmung und Bildung
ansehen. Mich hat diese Sichtweise total begeistert
Bewertung: 10 von 10 Punkten.