Sonntag, 13. Dezember 2015
Slow West
Regie: John McLean
Der dumme Junge und der Wilde Westen...
Der britisch-neuseeländische Western "Slow West" erfindet natürlich das Genre nicht neu, aber es gelingt diesem Film von John McLean durch die sehr edle Machart zu überzeugen und in die Tradition interessanter und ungewöhnlicher Genreperlen aufzusteigen. Erinnert hat mich der Neowestern vor allem auch an den völlig unterbewerteten und leider auch in Vergessenheit geratenen 70er Jahre Spätwestern "Begrabt die Wölfe in der Schlucht" von Ted Kotcheff mit dem ebenfalls ungleichen Duo Gregory Peck und Desi Arnaz jr. Nur werden sie dort von den Gesetzeshütern gejagt, in "Slow West" sind Michael Fassbender und Kodi Smit-McPhee die Suchenden. Allerdings ist es ebenfalls eine Geschichte von Jäger und Gejagten.
Dabei empfinde ich gerade die Figur, die Kodi Smit-McPhee spielt, die interessanteste in der Geschichte. Er ist der 16jährige schottischer Adlige Jay Cavendish, der aus seiner Heimat in eine vermeintlich neue Welt gereist ist. Dort in der Weite von Colorado ist der Junge auf der Suche nach seiner großen Liebe Rose (Caren Pistorius), die kurz vor ihm mit ihrem Vater (Rory McCann) das Heimatland verlassen musste. Im Laufe der Geschichte wird durch Rückblenden auch klar warum. Rose war zwar immer geschmeichelt von den Avancen ihres jungen Verehrers, aber so ganz ernst hat sie ihn nie genommen. Sie nannte ihn "Dummer Junge" und genauso wie ein Narr wandert Jay nun mit grenzenlosem Ehrgeiz durch das Wilde Land. Es ist die Zeit des Bürgerkriegs. Und immer wieder hat er mehr Glück als Verstand, dass er überlebt. Als ihn einige Deserteure überfallen, bekommt er überraschende Hilfe des wortkargen Outlaws Silas (Michael Fassbender), der zur rechten Zeit am rechten Ort auftaucht um ihm das junge Leben zu retten. Jay erkennt, dass er auf der Suche nach Rose, mehr braucht als seinen Kompass, sein Handbuch für Reisende und seine Poesie. So wird Silas für 100 Dollar sein Begleiter werden.
Doch die beiden sind sehr verschieden, so dass es auf ihrer gemeinsamen Reise auch immer wieder zu Spannungen kommt. Jay versucht sich zu trennen und trifft auf den Anthropologen Werner (Andrew Robertt), der an einer Chronik über die Ausrottung der Indianer schreibt, aber von dem Jay auch mies betrogen wird. Silas muss den Jungen retten. In einem Handelsposten braucht Jay sein Gewehr, der Zuschauer sieht draußen den Steckbrief von Rose und ihrem Vater hängen. Ein Kopfgeld von 2.000 Dollar gibt es - tot oder lebendig. Dies weiß Silas, der - genauso wie eine üble Kopfgeldtruppe unter der Führung von Payne (Ben Mendelsohn) und ein weiterer Killer namens Victor (Edwin Wright) - hinter den beiden Gesuchten her ist. Und der unwissende Jay führt die Killer ohne Wissen direkt zu seiner Rose...
Dabei spielt der britische Regisseur sicherlich mit diesen gängigen und liebgewonnenen Mechanismen des Genres. Er greift immer wieder die Versatzstücke der Klassiker auf und fügt der Geschichte - zum Glück - lockeren Witz und Ironie mit bei. Daher erscheint "Slow West" durchgehend als kleine faszinierende Odyssee durch den Wilden Westen mit gut getimten Erzählrhythmus. Schade eigentlich, dass der Film nur kurze 84 Minuten dauert. Das Finale gestaltet er von ruhiger Hand mit einer klasse Präzision. Wenn dann vor der Hütte mitten im weiten Kornfeld der falsche Reverend mit der Flinte zum Todesschuß anlegt, ist das ultimative Westernfeeling perfekt erreicht. Der Schluß ist bleihaltig und zeigt schonungslos und brutal in diversen Einstellungen die vielen blutigen Opfer der Geschichte. Während der erste Teil noch eine schöne atmosphärische Road Movie Dramaturgie wählt, ist der Stimmungswechsel ab der Mitte bereits angelegt. Das Finale setzt dann konsequent auf düstere Traurigkeit und einmal mehr muß Rose feststellen, wie sehr der "dumme Junge" sie liebte. "Unter jedem Stein wird ein Desperado hervorkriechen und dir ein Messer ins Herz stechen, so lange ein Dollar dabei herausspringt" wird Outlaw Silas in einem Satz das Leben im Wilden Westen zusammenfassen.
Macleans kleiner, brillant besetzter Film zeigt mit melancholischer Geste, wie der Westen höchstwahrscheinlich wirklich war: Viele europäische Einwanderer kamen, um ihr Glück zu finden; die meisten litten unter bitterer Armut und wurden wunderlich, verrückt, kriminell. Oder sie starben einfach, durch Pech und Kugeln, die damals wie heute sehr locker in den Pistolen saßen. Wer überlebte, musste Ruchlosigkeit lernen, wie Rose, die süße Angebetete, die sich als kaltblütige Schützin erweist.
Bewertung: 8 von 10 Punkten.
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