Freitag, 19. Juni 2015
Deutschland im Herbst
Herbst 1977
Regie: Diverse
Herbst 1977: Deutschland wird überschattet von den Auseinandersetzungen um die terroristischen Aktionen der RAF. Der Arbeitgeberpräsident Hans-Martin Schleyer wird entführt und ermordet, ein Lufthansa-Jet wird von Palästinänsern nach Mogadischu entführt und im Hochsicherheitstrakt von Stammheim sterben die RAF-Häftlinge Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Andreas Baader. Und genau in dieser Zeit fanden sich die Filmemacher Alexander Kluge, Volker Schlöndorff, Edgar Reitz, Rainer Werner Fassbinder, Hans Peter Cloos, Maximilian Mainka, Bernhard Sinkel, Katja Rupe, Peter Schubert und Alf Brustellin zusammen und schufen ein einmaliges Zeitdokument, eine Auseinandersetzung mit den Geschehnissen und Stimmungen im Lande. Natürlich gibt es bei diesem Kompilationsfilm über eine angespannte Zeit in Deutschland, der fast zeitgleich zu den Ereignissen gedreht wurde, keine Analyse und keine Antwort darauf warum man in diesen erlebten und "gefühlten" Herbst stürzen konnte. Die Regisseure haben unterschiedliche Positionen und sie bedienen die Kamera sehr subjektiv im Sinne ihrer Wahrnehmung. Realität und Fiktion erleben eine Vermischung. Fassbinder streitet mit seiner Mutter Liselotte Eder. Alexander Kluge hat ein Interview mit dem heutigen Rechtsradikalen und damals aber linksradikalen EX-RAF-Anwalt Horst Mahler während dessen Haft im Gefängnis. Man sieht eine Schweigeminute im Stuttgarter Mercedes Werk. Ebenso filmt die Kamera an den Beerdigungen von Schleyer und von Gudrun Ensslin. Heinrich Boll hat eine Szene mitgestaltet, in der sich Volker Schlöndorff selbst spielt. Er agiert dort als Theaterregisseur, dessen Aufführung der Antigone von Sophokles plötzlich durch die aktuellen Ereignisse zensiert werden soll, weil die Darstellung des antiken Stoffes als Aufruf zur Gewalt und zum Terrorismus interpretiert werden könnte. Das wirkt einerseits etwas surreal und absurd, spiegelt aber perfekt die hysterisch aufgeheizte Stimmung im Land wider und ist wunderbar satirisch überspitzt.
Es wechseln sich inszenierte Passagen (Hannelore Hoger spielt beispielsweise eine Lehrerin, die sich mit den Folgen des Radikalenerlasses sowie mit den Ungereimtheiten der offiziellen Geschichtsschreibung konfrontiert sieht) . Der Film beginnt mit der Texteinblendung der Aussage einer Frau Wilde, 5 Kinder "An einem bestimmten Punkt der Grausamkeit, ist es schon gleich, wer sie begangen hat, sie soll nur aufhören". Enden wird der Film abermals mit "An einem bestimmten Punkt angekommen, ist es schon gleich, wer sei begangen hat, sie soll nur aufhören. Es endet auch mit dem Trauermarsch für die Terroristen im Oktober 1977, wozu der Song "Here´s to you, Nicola and Bart" von Joan Baez zu hören ist. Viele der Regisseure wurden aufgrund dieses Films stark kritisiert. Er meinte dann in einem Interview, dass er sich nach der Arbeit mit diesem Film nicht mehr gefragt habe warum es sogenannte Terroristen gäbe, sondern er war verblüfft, dass es nicht viel mehr gibt. Einige der Darsteller wie Mario Adorf, Heinz Bennent, Angela Winkler und Helmut Griem verzichteten auf ihre Gage. Als Lohn erhielt das komplette Team 1978 bei der Vergabe des deutschen Filmpreises ein Filmband in Gold.
Bewertung: 7 von 10 Punkten.
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