Sonntag, 6. November 2016

Freistatt

























Regie: Marc Brummund

Schwer erziehbarer Junge...

"und wenn Du nicht artig bist, kommst Du ins Heim" - so der Spruch auf dem Plakat des Films "Freistatt" von Marc Brummund aus dem Jahr 2015, der mit der Unterstützung der Diakonie und der Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel an Originalschauplöätzen statt. Marc Brummund äusserste sich über die Motivation dieses Jugenddrama zu drehen. Er spürte den Geist der "schwarzen Pädagogik" und der Gottesfurcht bereits bis in die Schulbank. Eine schwierige Zeit Ende der 60er Jahre. Die Gesellschaft gespalten zwischen sexueller Revolution und Liberalisierung und der "guten" alten und stehen gebliebenen Zeit in diesem geschlossenen repressiven System.
Viele andere Regisseure nahmen sich diesem Thema an: In den 60er Jahren war es "Heimliche Freundschaften" von Jean Dellanoy (Originaltitel: Les Amitiés particulières). Auch Wolfgang Petersens "Die Konsequenz" wagte in den 70ern einen Einblick in diese Heime. In der jüngeren Zeit blieben vor allem Pedro Almodvars "La Mala Education" und das norwegische Drama "King of the Devils Island" (Orginial: Kongen av Bastoy von Marius Holst in Erinnerung. Mit letzterem Film hat "Freistatt" übrigens die größte Ähnlichkeit.
Aufmerksam wurde ich auf diesen bedrückenden Spielfilm durch den dänischen Minensucherfilm "Unter dem Sand", einem der besten Filme dieses Jahres. Dort war ich sehr beeindruckt von der schauspielerischen Leistung von Louis Hoffmann.
Marc Brummund gibt an, dass er von den klassischen Erzählungen von Charles Dickens und Filmen wie "Boys Town", "Die Nacht des Jägers", "Cool Hand Luke" oder "Sie küßten und sie schlugen ihn" inspiriert war.
Das Schicksal der vielen Heimkinder in den 50er und 60er Jahren ist kaum bekannt, aber über eine halbe Million Jugendlicher wurden leider in diesen staatlichen und kirchlichen Heimen der jungen Bundesrepublik seelisch und körperlich schwer misshandelt - noch dazu auch als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Viele dieser Menschen leben heute mit diesen ihnen zugefügten Wunden. Sie schwiegen vor Scham, denn schließlich war dies alles von der Obrigkeit abgesegnet. Christliche Werte vermitteln mit dem Rohrstock - ein gängiges Verfahren der damaligen Zeit.
Und dieses Schicksal muss auch der junge Wolfgang (Louis Hoffmann) erleiden, denn er ist aufmüpfig und lehnt sich gegen seinen brutalen Stiefvater Heinz (Uwe Bohm) auf. Der will ihn loswerden und schließlich willigt die Ich-schwache Mutter Ingrid (Katharine Lorenz) ein, dass der Junge in ein Heim soll. Dort werden sie einen brauchbaren Menschen aus ihm machen. Doch die Mittel, die man in Freistatt anwendet, sind äusserst brutal und gewalttätig. Wenn man nicht spurt, dann gibts fiese Schläge. Dabei machte der Hausvater Brockmann (Alexander Held), ein Christ, der jeden Sonntag in den Gottesdienst geht und passionierter Gärtner ist, zuerst einen gütigen Eindruck. Aber das ist nur die Oberfläche. Die beiden Erzieher Bruder Wilde (Stephan Grossmann) und Bruder Krapp (Max Riemelt) sind unterschiedlich. Während Krapp den Jungs auch mal empathisch begegnet, ist die gewalttätige Art von Bruder Wilde tägliches Brot für die Heiminsassen. Wolfgang ist gleich von Anfang an ein bisschen Rebell, was ihm Schläge von den anderen Jungs einbringt, aber auch Respekt. Der dunkelhäutige Anton (Langston Uibel) will sich mit ihm anfreunden. Wolfgang mischt sich die Keilerei zwischen dem Anführer Bernd (Erno Trebs) und dem sensiblen schwachen Mattis (Justus Rosenkranz) ein. Auch versucht er Kontakt mit der hübschen Angelika (Anna Bullard-Werner), Tochter von Brockmann, aufzunehmen. Ärger ist vorprogrammiert...



Freistet ist heute einer der wenigen offenen Anstalten. Man gibt zu, dass hier im Namen der Kiche unsägliche Dinge geschehen sind. Ehemalige dürfen ihre Akten einsehen. Die von den Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Auftrag gegebene Studie "Endstation Freistett" führte schließlich auch zur Realisierung dieses Films.
Am intensivsten und schrecklichsten ist die eine Szene, indem die Mutter einen Verrat an ihrem Kind begeht. Ein Indiz dafür, dass man die Augen verschließt vor der sichtbaren Mißhandlung und Unterdrückung - denn die christliche Einrichtung wird schon wissen, was gut für diese halbstarken Kids ist. Durch eine großartige Leistung von Louis Hoffmann ist dieser alltägliche Horror extrem spürbar.



Bewertung: 7 von 10 Punkten

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